Tortenschlacht
sich. »Sie haben doch gesagt, wir müssten nur unterschreiben!«
Das gehe nun leider nicht mehr, hatte Bentzsch abgewiegelt, unter diesen veränderten Umständen sei da gar nichts mehr zu machen.
»Schiebung!«, brüllten sie nun auf dem Besetzerplenum und »Verarsche!« Sie hockten in der Wagenburg um ein riesiges Lagerfeuer herum und debattierten seit Stunden, was zu tun sei, um die »Autonome Republik« zu retten. In den umliegenden Kirchen fanden Fürbittgottesdienste statt, Vertreter des »Neuen Forum« versprachen, sich beim MagiSenat für das Projekt Helmholtzplatz einzusetzen. Handwerksbetriebe boten an, kostenlos neue Elektro- und Gasleitungen zu verlegen, aber bei der KWV blieb man stur. Selbst wenn sofortige Umbaumaßnahmen eingeleitet würden, müssten die Besetzer bis zum Abschluss derselben die Häuser räumen.
Und natürlich war jedem klar: Rückkehr ausgeschlossen – sie hatten ja keine gültigen Verträge. Es galt also, den Status quo bis auf Weiteres aufrechtzuerhalten, komme was wolle. Ein gallisches Dorf inmitten der Römer. Man diskutierte Pläne, wie die zahlreichen Zufahrten zum Platz zügig verbarrikadiert werden konnten. Fahrradpatrouillen radelten die Straßen ab. Falls die Bullen Räumkommandos zusammenzögen, würde man alarmiert sein.
Studenten aus den umliegenden Häusern verlegten Stromkabel von ihren Wohnungen bis zur Bühne auf dem Platz, damit morgen wenigstens das Hardcore-Festival stattfinden konnte. Ein großes Fest des Protests sollte es werden, ein Aufbegehren gegen die Ämterbürokratie. Bis dahin wurde getrommelt, auf Pauken und Steelbounds, auf Kochtöpfen, Congas und Kuchenblechen. Rhythmisch und laut sollte es sein, das ganze Stadtviertel sollte spüren, dass hier etwas absolut nicht in Ordnung war.
Und so erhob sich über dem Prenzlauer Berg ein unheilvolles Gewummer, kraftvoll und kämpferisch wie die Trommeln und Gesänge der Indianer am Little Bighorn, die sich zur letzten, zur entscheidenden Schlacht rüsteten.
Und inmitten der Trommler saß Melanie. Übermüdet sah sie aus und blass, aber ihr Gesicht strahlte Entschlossenheit aus. Wie alle anderen hier wollte sie kämpfen. Träume muss man verteidigen, hatte Vati immer gesagt. Und so schlug sie ihre Pauke wieder und wieder, obwohl ihr schon die Arme wehtaten. Aber sie machte nicht schlapp, nicht hier und nicht jetzt. Niemals!
»Da braut sich was zusammen«, meldete Matuschka düster, bevor er seinem Kriminalrat Beylich ein Schreiben der Volkspolizeidirektion Mitte vorlegte. »Wir sollen uns bereithalten.«
»Bereithalten?« Beylich nahm unwillig das Schreiben zur Hand. »Wofür?«
»Diesmal geht es gegen die Punker«, murmelte Matuschka blass, »und anschließend kriegen wir wieder eins auf die Mütze!«
Beylich las das Schreiben. In knappen Worten war dort angeführt, dass für die baupolizeilich gesperrten Häuser Helmholtzplatz fünf- und siebzehn einem von der Kommunalen Wohnungsverwaltung verfassten Eilantrag zur Räumung vom Gericht stattgegeben worden war. Die Räumung habe unverzüglich zu erfolgen, da erhebliche Gefahr für Leib und Seele der Bewohner gegeben sei. Sollten sich die Bewohner der Häuser widersetzen – immerhin seien die Häuser ja schon widerrechtlich besetzt worden – seien entsprechende kriminalpolizeiliche Maßnahmen einzuleiten …
»Dreck!« Wütend knallte Beylich das Papier auf den Tisch. Jetzt ging das wieder los! Schon vor Jahresfrist waren die Männer von der Kripo die Dummen gewesen, weil sie am vierzigsten Jahrestag der DDR protestierende Bürgerrechtler wegen Zusammenrottung und staatsfeindlicher Hetze festgenommen, erkennungsdienstlich behandelt und entsprechende Ermittlungen eingeleitet hatten. Doch plötzlich drehten sich die Uhren anders, und die Deutsche Volkspolizei war der Buhmann. Obwohl sie nur nach geltendem Recht und Gesetz gehandelt hatte. Ja, es hatte Übergriffe gegeben, zugegeben, aber wo gehobelt wird, fallen eben auch Späne, und die politische Lage damals war angespannt. Genau wie heute.
»Wieso wir?«, regte er sich auf. »Soll das doch die Bepo erledigen. Ich mache mir die Hände nicht mehr schmutzig!« So ein Mist! Und er, Beylich, hatte diese ganze unselige Sache auch noch angerührt, indem er sich bei den Ermittlungen zur Brandursache die Baupolizei dazugeholt hatte. »Warum überhaupt die Eile? Monatelang hat kein Hahn nach den Besetzern gekräht! Obwohl die KWV genau gewusst haben muss, in welchem Zustand diese Häuser sind! Und jetzt soll
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