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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G Wachlin
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die Knöchel im Modder. Dann stehen wie vor einem Bewässerungsgraben. Ein Kleintransporter ist die Böschung hinabgerutscht, ein alter Ford Transit. Er steckt mit der Schnauze voran bis zur Hälfte im schlammig schwarzen Wasser. Der Regen trommelt aufs Autoblech.
    »Bist du gefahren?«
    »Nein«, antwortet Melanie, »ich kann doch noch gar nicht Auto fahren.«
    »Genau danach sieht’s auch aus.« Vorsichtig klettere ich die Böschung hinunter, sehe mich um. »Wo ist denn dieser …?«
    »Dark?«
    »Ja.« Der Irokese wird sich freuen, dass der Kerl noch lebt. »Dark …«
    »Abgehauen.« Melanie stampft wütend mit dem Fuß auf. »So ein Arschloch! Lässt mich hier mit der ganzen Scheiße allein!«
    »Ich dachte, er sei verletzt?« Ich komme wieder die Böschung hoch.
    »Ja«, nickt Melanie, »das dachte ich auch.«
    »Den knöpfen wir uns später vor«, verspreche ich ihr und wische mir die Regentropfen aus dem Gesicht. »Und wo ist jetzt der Tote?«
    »Willst du da wirklich hin?« Melanie macht ein entsetztes Gesicht.
    »Tote Menschen sind mein Job«, antworte ich ruhig. »Also? Wo müssen wir lang?«
    »Auf die andere Straßenseite«, murmelt Melanie. »Da ist jetzt sowieso alles Asche.«
    Ich folge ihr über die Straße durch Regen und Dunkelheit, durch Pfützen und Matsch. Wir laufen über eine morastige Wiese. Überall steht das Wasser, der Boden ist rutschig und sehr uneben. Mehrmals verliere ich fast das Gleichgewicht. Aber ich halte mich aufrecht. Das fehlte noch, dass ich mich hier in den Matsch lege. Zwischen dem feuchten Laub einiger Bäume steht tatsächlich eine rötlich beleuchtete Rauchwolke. Wir laufen direkt darauf zu, erreichen eine bogenförmige Toreinfahrt und stehen in einem gepflasterten Hof. Riesige Pfützen auch hier. Alles steht voller Qualm, ein alter Traktor glänzt im Regen. Rechts steht das bis auf die Grundmauern heruntergebrannte Wohnhaus in einem zischenden Glutbett, einzelne Flammen züngeln noch hervor. Das Gebäude linker Hand, groß, mit hohem Satteldach, ist unversehrt geblieben. Ebenso der blauweiße Pkw aus den fünfziger Jahren davor. Wie ein alter Borgward Hansa 1500, aber Melanie meint, das sei ein Dreielfer Wartburg, so einen sei Siggi früher auch gefahren.
    Plötzlich höre ich Stimmen.
    »Das ist ein Radio«, flüstert Melanie, als rede sie von einem Geist, »das war vorhin schon an. Total gruselig.« Sie zeigt auf das halb geöffnete Scheunentor. Dahinter brennt schummriges Licht. »Geh du da rein, ich trau mich nicht.«
    Vorsichtig zwänge ich mich durch den Spalt in die Scheune.
    »Vor einigen Jahren ist Udo Lindenberg in den Sonderzug nach Pankow gestiegen«, höre ich die sonore Radiostimme von Nero Brandenburg, »um bei Erich Honecker an die Tür zu klopfen. Die Melodie für sein grenzüberschreitendes Lied aber hat er sich von einer viel älteren Dampflok geliehen …«
    Im fahlen Licht einer einzigen Glühbirne unter der Decke erkenne ich einen Mann. Er hat sich erhängt und trägt Anzug und Krawatte, als habe er sich für sein Ende schick gemacht. Die Augen des Toten treten grotesk aus den Höhlen hervor. Zwischen die Lippen hat sich eine blau angeschwollene Zunge geschoben. Auf dem Querbalken über ihm steht ein altes Transistorradio:
    »… vor fast fünfzig Jahren fuhr sie von New York nach Chattanooga.« Big-Band-Musik legt sich über die Stimme des gut gelaunten Moderators: »Hier ist das Original: das Glenn Miller Orchestra mit einer Aufnahme aus dem Jahre 1942, ›Chattanooga Choo Choo‹!«
    Die Musik brandet auf. Ein fröhlicher Zug durch Amerika und ein merkwürdiger Kontrast zur frei im Raum baumelnden Leiche. Über der Werkbank neben einem kleinen Fenster baumelt ein Telefonhörer. Er gehört zu einem alten schwarzen Wandapparat aus Bakelit. Wahrscheinlich hat mich Melanie von da aus angerufen.
    Ich wende mich ab, trete wieder vor die Scheune. Das Mädchen sieht mich gespannt an. »Und?«
    »Tot«, erwidere ich schulterzuckend, »da kann man nichts machen.«
    »Schrecklich, oder?« Melanie wischt sich erschüttert das feuchte Haar aus dem Gesicht. »Ob der sein Haus selbst angesteckt hat?«
    Vermutlich, denke ich. Selbstmörder sind einsame Menschen. Wer weiß, wenn Melanie und dieser Dark ihren Unfall nur ein wenig früher gehabt hätten, vielleicht hätten sie den armen Mann von seinem sinnlosen Vorhaben abhalten können.
    »Shit«, ruft Melanie plötzlich erschrocken und läuft zum Tor, »da kommen die Bullen!«
    Ich folge ihr vor das Gehöft.

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