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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dario Castagno
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nicht nur hierher, um unser eigenes Plätzchen auf der Welt zu genießen. Wir arbeiten hier an einem Projekt!« Ich war sehr neugierig, aber bevor ich sie danach fragen konnte, stand Massimo auf und sagte: »Es ist etwas spät geworden. Die Sonne geht bald unter, und unser Motorrad steht auf der anderen Seite des Waldes.«
    Auch ich beschloss zu gehen. Die Flammen waren kleiner geworden, sodass man die Feuerstelle ruhigen Gewissens allein lassen konnte. Aufgeheizt durch die Glut, empfanden wir die kalte Luft draußen als schneidend.
    »Also«, sagte Massimo eifrig, »sehen wir uns morgen?« Ich zuckte die Achseln. »Gut. Bis morgen!« Unsere Wege trennten sich. Sie gingen durch den Wald, während ich die Böschung hinunterkletterte auf dem Pfad, den Massimo mir gezeigt hatte. Um nicht noch einmal nass zu werden, überquerte ich den Bach im Zickzack-Kurs und hüpfte von moosigem Stein zu moosigem Stein. Die Frösche quakten, und in der Ferne hörte ich, wie das junge Paar sein Zweitakt-Motorrad in Gang brachte. Dann verschluckte der Chianti-Wald den Motorenlärm.
    Auf dem Rückweg überlegte ich mir, wie sehr die Generation von Massimo und Rebecca bis heute für mich völlig fremd gewesen war, und wie erstaunlich wenig Kontakt ich zu Leuten hatte, die jünger waren als ich.
    Massimo schien ein echter chiantigiano zu sein. Er sprach nicht nur wie ein Einheimischer, auch seine Körpersprache war die der Hügelbewohner. Rebecca dagegen hatte eine merkwürdige Sprache, hauptsächlich toskanisch – besonders wegen der vielen Redewendungen, die sie gebrauchte, – aber hier und da klang ihre Aussprache fremd, beispielsweise, wenn sie bestimmte Selbstlaute zu offen artikulierte.
    Als ich über die alte Brücke gefahren war, wo die Straße scharf nach links abbiegt, wurden meine Gedanken von einer plötzlich aus dem Halbdunkel auftauchenden Gestalt abgelenkt. Sie bewegte sich langsam auf einem Fahrrad. Im Scheinwerferlicht erkannte ich bald den alten Tonio, der endlich auf dem Heimweg war. Ich hielt an, um ihn mitzunehmen.
    »Eh, nini «, sagte er, als ich sein Rad hinten in den Bus lud, »ich habe wohl etwas zu viel geredet in der Ölmühle. Es wird langsam Zeit, an diesem Rad ein Licht zu befestigen.«
    »Sag mal, Tonio«, sagte ich, als wir uns auf die Vordersitze geschoben hatten, »was weißt du über das alte Haus … das auf der anderen Seite des Baches, mit der faschistischen Inschrift?«
    Der alte Mann antwortete nicht sofort. Er zog seine Blechschachtel aus der Jacke, entnahm ihr eine toscano, befeuchtete sie und zündete sie mit einem Holzstreichholz an. Erst nach dem ersten Zug sagte er: »Eine böse Geschichte, mein lieber Dario …« Dann schwieg er.
    Nach ein paar weiteren Kilometern sagte er: »Halte bitte bei einer Bar. Mit einem Glas Rotwein in der Hand ist es leichter, darüber zu sprechen.«
    Wieder schwieg er, bis wir in der Bar waren und uns an einen grünen Plastiktisch im Achtzigerjahre-Stil gesetzt hatten. Da bemerkte ich den traurigen Ausdruck, den sein Gesicht plötzlich angenommen hatte. »Eine fürchterliche Geschichte ist das!«, murmelte er.
    Ich wartete auf seine weitere Erzählung. Als unser Wein kam, sagte er: »In dem Haus lebten ehrliche Leute … eine gute Familie, fleißig und arbeitsam …«
    Ich hatte den Eindruck, dass es ihm schwer fiel, einen Anfang zu finden, was merkwürdig war, denn Geschichten erzählen war sein tägliches Brot. Dann, nachdem er sein Glas in einem einzigen Schluck geleert hatte, schien er gestärkt und begann von neuem.
    »Das Haus, das du gesehen hast, wurde früher von einer Halbpächter-Familie bewohnt, wie es damals viele gab. Sie arbeiteten auf den Feldern und schauten für den Landeigentümer nach den Tieren, ohne sich darum zu kümmern, was in Rom oder in der übrigen Welt geschah. Dann brach der Krieg aus. Während der verheerenden italienischen Russlandfeldzüge wurde der Sohn zum Sterben in eines dieser eiskalten Länder geschickt. Der Vater schloss sich den Widerstandskämpfern an. Das Leben ist merkwürdig, eh nini? « Er seufzte und fuhr fort. »Der Sohn kämpfte für Mussolini, der Vater gegen Mussolini, aber wie können wir darüber urteilen … es waren ungebildete Leute. Sie verstanden nichts von Faschismus und Kommunismus. Alles, was sie wussten, war, wie man die Felder pflügt. Die Mutter blieb mit zwei Töchtern, ihrem alternden Vater und ihrer Schwiegermutter zu Hause. Schwere Zeiten auch für sie. Die Armut war groß. Ihr Mann war ein

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