Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dario Castagno
Vom Netzwerk:
Geächteter geworden, und die Faschisten suchten ihn. Gegen Ende des Krieges beteiligte er sich an einem Anschlag gegen die sich zurückziehenden Nazis. Sie sprengten eine Brücke in die Luft und zwangen die Deutschen, einen Großteil ihrer Waffen auf dieser Seite des Ufers zurückzulassen.
    Dann versteckte die arme Frau einen englischen Soldaten in ihrem Haus. Er war als Spion vorausgesandt und verletzt worden. Er muss sie an ihren Sohn erinnert haben, allein im russischen Winter, und so nahm sie ihn auf.
    Als die Deutschen das erfuhren, gingen sie zum Bauernhaus und …« Er verstummte.
    »Was machten sie?«, fragte ich, von der Erzählung völlig gebannt. Tonio schaute mir tief in die Augen und sagte mit fester Stimme: »Sie brachten die ganze Familie erbarmungslos um. Sie schleppten sie nach draußen, reihten sie nebeneinander auf, an der Mauer, genau unter der faschistischen Inschrift, und erschossen sie mit dem Maschinengewehr. Niemand weiß, was aus dem englischen Soldaten geworden ist, aber ich habe gehört, er sei am Tag zuvor geflüchtet und habe seine Kameraden wieder gefunden.« Ein paar Augenblicke verharrte er schweigend, als ob er durch mich hindurchschauen würde, und sagte dann: »Der Krieg war beinahe zu Ende. Diese Feiglinge rächten sich an einer hilflosen Mutter, ihren beiden Töchtern und zwei alten Leuten. Ich habe dir gesagt, es ist eine schreckliche Geschichte!«
    »Was geschah mit dem Vater?«, fragte ich.
    »Nun – der Vater brauchte viele Jahre, um über die Tragödie hinwegzukommen, aber es gelang ihm, ein neues Leben aufzubauen. Er heiratete noch einmal und bekam sogar noch einen zweiten Sohn. Aber er trägt in seinem Herzen noch heute eine schreckliche Wunde.«
    Als ich zu Hause war, entfachte ich ein Feuer. Sobald genug Glut da war, stellte ich den Grill darauf und röstete selbst gebackenes Brot. Ich verbrachte den Abend mit Cristina und genoss das neue Öl. Es war so gut, dass wir zum Abendessen nichts anderes aßen als Brot, Öl und Wein und ein paar Stückchen Käse. Wir schauten dabei ins Feuer und redeten über meinen merkwürdigen Tag. Es wurde sehr spät, bis wir zu Bett gingen.
    Am nächsten Morgen beschloss ich, zu dem verlassenen Haus zurückzukehren. Als ich in meinen Bus steigen wollte, sah ich unter dem Scheibenwischer einen Zettel. Die Handschrift war die einer älteren Person.
    Ich weiß, dass Du zum Haus zurückgehst. Es heißt La Macia. Am alten Ziehbrunnen wirst Du einen schwarzen Stein entdecken, der anders ist als die übrigen. Nimm ihn weg, darunter wirst Du etwas finden.
     
    Tonio
    Ich stieg in den Bus, und ohne auf die Geschwindigkeitsbegrenzungen zu achten, raste ich zur Böschung. Ich parkte, überquerte den Bach und kletterte durch das Eichendickicht, bis ich heftig keuchend bei La Macia ankam.
    Ein starker Geruch von faulenden Blättern hing in der Luft. Ich ging in Richtung Scheune, dann wieder zurück – da war der Brunnen. Ich trat näher. Mein Herz schlug bis zum Hals. Schon hatte ich den schwarzen Stein entdeckt.
    Ich kniete nieder, fasste zwei vorstehende Kanten und zog. Trotz all der Jahre glitt der Stein sofort heraus. Im Hohlraum dahinter war eine rostige Tabakschachtel aus Metall. Ich zog am Deckel. Mit ein wenig Kraft ließ er sich öffnen. In der Schachtel befand sich ein kleiner, in ein Stück Stoff gewickelter Gegenstand. Ich faltete den Stoff auseinander und hatte nun einen Holzrahmen vor mir, der eine Fotografie enthielt. Darauf war eine Familie vor dem Bauernhaus abgebildet mit einer Datumsinschrift: 1937. Ich war beinahe sicher, dass dies die Familie war, die im Krieg hier gelebt und von der Tonio mir erzählt hatte.
    Über den Köpfen der Leute standen ihre Namen, wie es damals üblich war. Der Großvater hieß Adamo, die Großmutter Clelia, die Töchter Giovanna und Adele, der Sohn Vittorio, die Mutter Claretta.
    »Mein Gott«, murmelte ich, als ich den Namen des Mannes las: Antonio. Wie dumm war ich gewesen, dass ich es nicht vorher begriffen hatte – Tonios Zögern, über seine Familie zu sprechen, und seine offensichtliche Ergriffenheit!
    Ein großes Schuldgefühl überkam mich. Ich hatte in dem alten Mann Erinnerungen wachgerufen, die er vielleicht jahrelang zu vergessen versucht hatte. Ich legte die Fotografie in die Schachtel zurück und steckte alles in meine Tasche.
    Jetzt, da das Haus einen Namen und eine Geschichte hatte, sah es ganz anders aus als am Tag zuvor, so anders, dass ich nur ungern näher ging – als ob ich es

Weitere Kostenlose Bücher