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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dario Castagno
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vorzuführen und ihnen danach Siena selbst zu zeigen.
    Als ich sie abholte, erklärte ich ihnen mein Programm. Mrs. Mawson protestierte sofort. »Ich würde es vorziehen«, meinte sie, »zuerst die Stadt zu besuchen und dann die Videokassette anzuschauen.«
    Nun ist Siena keineswegs eine hektische Stadt. In der Altstadt herrscht ein absolutes Fahrverbot, sogar für Fahrräder. Die einzige Ausnahme ist frühmorgens, wenn die Läden öffnen und die Lieferwagen in die Altstadt hineinfahren dürfen. In diesen wenigen Stunden herrscht in der alten Innenstadt eine lärmige Betriebsamkeit. Der frühe Vormittag ist somit die ungünstigste Zeit für einen Stadtspaziergang.
    Ich versuchte, Mrs. Mawson diesen Umstand zu erklären, und sagte, es sei viel angenehmer, die Stadt zu besichtigen, wenn der Morgenverkehr sich gelegt habe. Aber sie ließ sich nicht umstimmen. Ihr Mann war völlig desinteressiert, aber er kontrollierte fleißig seine Uhr. Heute, stellte sich heraus, hatte er tatsächlich eine Verpflichtung. Er hatte beschlossen, am späten Nachmittag schwimmen zu gehen. Während des übrigen Tages konnte er an nichts anderes denken.
    Angesichts der Hartnäckigkeit von Mrs. Mawson dachte ich, es sei besser, nachzugeben als zu streiten. Der Spaziergang verlief sehr enttäuschend. Kaum waren wir innerhalb der Stadtmauern, als sie gegen meinen vorgeschlagenen Rundgang Einspruch erhob und nur die Museen der Stadt besuchen wollte. Sie hatte nicht das geringste Interesse an irgendeinem anderen Aspekt der Stadt. Schließlich war ich es, der ihr folgte, weil sie entschied, wohin wir gehen würden und wann.
    Nach dem Mittagessen in einem von ihr ausgewählten Restaurant besuchten wir ein paar weitere Museen. Dann war Mrs. Mawson gesättigt und hatte mit Siena abgeschlossen. Ich erinnerte sie an die Videokassette, die ich ihnen bei mir zu Hause zeigen wollte. Mit einem beunruhigten Blick auf seine Uhr sagte Mr. Mawson, er würde sie gerne anschauen, wenn es nicht zu lang dauere und mein Haus nicht zu weit weg sei. Ich sagte: »Wir werden in ungefähr siebzehn Minuten da sein, und die Spieldauer der Kassette dauert genau dreiundzwanzig Minuten und vierzig Sekunden.« Ich scherzte natürlich, aber er nahm meine Worte vollkommen ernst.
    »Gut«, sagte er kopfnickend, »dann komme ich noch rechtzeitig zum Schwimmen.« Er schien sich ein wenig zu entspannen.
    Nach fünfzehn Minuten wurde er wieder aufgeregt und fragte immer nervöser: »Wie weit ist es noch? Siebzehn Minuten sind schon vorbei! Sollten wir nicht schon da sein? Sie sagten, dass wir um diese Zeit schon da sein würden«, und so weiter und so fort. Ich fand, er benehme sich eher wie ein verwöhntes Kind als wie ein bekannter Bankdirektor.
    Endlich kamen wir bei mir zu Hause an. Ich versäumte keine Zeit, sondern legte unverzüglich die Kassette ein. Aber schon nach wenigen Minuten, als sie erst ein paar Palio-Vorbereitungen und noch nichts vom Rennen gesehen hatten, stand Mr. Mawson auf, schaute auf seine Uhr und sagte: »Sehr gut, sehr interessant. Aber jetzt ist es Zeit für mein kleines Bad.« Darauf verließ er das Haus und stellte sich wartend neben den Minibus. Vollkommen entmutigt fuhr ich sie ins Hotel zurück. Unterwegs bemerkte ich, dass der Himmel sehr schnell schwarz wurde. Ein wenig bösartig hoffte ich, dass ein plötzlicher Regenschauer die Badepläne meines Kunden durchkreuzen möge.
    Nachdem ich sie ins Hotel gebracht hatte, vergingen tatsächlich nur ein paar Minuten, bis die ersten Tropfen fielen. Ich grinste zufrieden, und mein Grinsen steigerte sich zu einem Lachen, weil die paar Tropfen von einem beachtlichen Sturm gefolgt wurden. Ein heidnischer Regengott musste meinen Wunsch gehört und erfüllt haben. Vergnügt stellte ich mir Mr. Mawson vor, wie er den Regen aus dem Hotelfenster beobachtete, dabei immer wieder auf seine Uhr schaute und zu niemand Bestimmtem sagte: »Sehr gut, sehr erfrischend. Aber jetzt ist genug damit, es ist höchste Zeit für mein kleines Bad.«
    Als ich am nächsten Morgen das Fenster öffnete, begrüßte mich ein bedrohlich schwarzer Himmel, an dem große, pralle Regenwolken vorbeizogen. Selten habe ich morgens einen so dunklen Himmel gesehen, und ich gebe zu, ich war ziemlich beunruhigt. Ich atmete tief ein. Meine Lunge füllte sich mit Feuchtigkeit und statischer Elektrizität.
    Trotz des unheilvollen Himmels musste ich die Mawsons zu einer Morgenfahrt durch die Crete abholen, und danach sollte ich sie zum Bahnhof bringen,

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