Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
oder einen dringenden Telefonanruf erledigen musste. Darauf angesprochen, verneinte er. Trotzdem verbrachte er den Tag in einem Zustand höchster Erregung. Er schaute mit weit offenen, verängstigten Augen um sich, und jedes Mal, wenn ich bremste, drückte er seinen Fuß gegen den Wagenboden, als wäre er der Fahrer. Nach einiger Zeit bemerkte ich, dass er noch häufiger auf seine Uhr schaute und sehr stark schwitzte. Ich versuchte, ihn zu beruhigen und versicherte ihm, er könne sich in den drei Tagen, die er mit mir verbringen werde, richtig entspannen, da ich mich um alles kümmern würde.
Beim ersten Halt in einem typisch toskanischen Hügelstädtchen war ich etwa bei der Hälfte meines Vortrags über die Geschichte und Kultur des Chianti-Gebietes angelangt, als er wieder auf seine Uhr sah und mich unterbrach: »Sehr gut, sehr interessant, aber wir sollten jetzt besser weiterfahren!« Ich war mehr als nur ein bisschen verunsichert. Offensichtlich waren weder er noch seine Frau von dem Ausflug besonders begeistert, und dies, obwohl seine Frau ausdrücklich darum gebeten hatte, genau die Dinge anzuschauen, die ich den beiden jetzt zeigte. Sie war sichtlich unruhig auf unserer Fahrt auf den Nebenstraßen des Chianti. Hätte ich nicht ihre genauen Anweisungen gehabt, hätte ich vermuten müssen, dass sie jeden einzelnen Programmpunkt unserer Fahrt verabscheute. Jedes Mal, wenn ich von der Hauptstraße abbog und auf eine Nebenstraße fuhr, schien sie in Panik zu geraten und verzweifelt zurückzuschauen, als wäre sie am liebsten wieder auf die glatte, zivilisierte Asphaltstraße zurückgekehrt. Bei jedem Halt war die Reaktion gleich: Mr. Mawson benahm sich, als ob er ein Flugzeug erwischen müsste, und seine Frau hielt den Atem an, bis alles vorbei war und sie im nächsten Laden stöbern konnte.
In Volpaia angekommen, gingen wir zu Gina, dem einzigen Restaurant im Dorf, einem Ort, an dem es keine richtige Speisekarte gibt. Gina, eine begnadete Autokratin, tischt auf, was sie am Tag gekocht hat, und bürgt so für eine frische und liebevoll zusammengestellte Mahlzeit. An jenem Tag hatten wir besonderes Glück, weil sie ribollita zubereitet hatte, ein typisch toskanisches Gericht, das sie nach einem uralten Rezept ganz ausgezeichnet kocht. Sie gart cannellini -Bohnen und Gemüse so lange, bis alles zu einer dicken Suppe zerfällt. In diese Suppe taucht sie ein paar Scheiben Brot und tischt das Ganze mit ein paar zusätzlichen Tropfen Extra-Vergine-Olivenöl auf. Natürlich gab es außer der ribollita noch weitere toskanische Spezialitäten: crostini, hausgemachte Ravioli, gekochtes Huhn, Kaninchen in Chianti-Wein und zum Schluss ein herrliches Tiramisu.
Meine Kunden aßen nicht viel. Steif saßen sie auf ihren Stühlen mit einem eindeutig leidenden Gesichtsausdruck – dazu drängte Mr. Mawson natürlich zu größter Eile. Nach dem Essen nahm er mich beiseite und sagte leise: »Dario, ich muss ganz ehrlich sagen, wenn Sie jemals von Ihren Kunden weiterempfohlen werden wollen, dann zwingen Sie niemanden, diese grässliche Bohnensuppe zu essen. Kein Amerikaner ist imstande, davon mehr als einen Löffel voll hinunterzuwürgen.« Ich dankte ihm und tat, als ob ich seinen Ratschlag gerne entgegennähme. Es hatte keinen Sinn, ihm von den begeisterten Reaktionen, die Ginas ribollita bei meinen anderen amerikanischen Kunden immer wieder hervorruft, zu erzählen, oder wie oft ich schon versprechen musste, das Rezept nach Übersee nachzuschicken.
Schließlich war der Ausflug zu Ende. Ich begleitete das gequälte Paar in ihr Hotel, das nur wenig außerhalb der Stadtmauern lag, nicht weit von meinem Haus entfernt. Wir vereinbarten, um welche Zeit wir uns am nächsten Tag für die Besichtigung von Siena treffen wollten, und verabschiedeten uns dann.
Wenn ich meine Kunden nach Siena begleite, versuche ich immer ihr Interesse auf den Palio zu lenken, einerseits weil er das farbenprächtigste und berühmteste Ereignis der Stadt ist, und andererseits, weil der Palio den wahren Geist der Sienesen widerspiegelt. Weil es so schwierig ist, die tiefe gefühlsmäßige Verbundenheit der Einwohner mit diesem Fest in Worte zu fassen, schlage ich meinen Kunden normalerweise vor, eine Videokassette über die Zeit vor und nach dem Palio anzuschauen, wo die Spannung, Begeisterung und Aufregung, die wir mit jedem Palio neu erleben, zum Ausdruck kommen. Ich beabsichtigte also, den Tag bei mir zu Hause zu beginnen, den Mawsons die Videokassette
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