Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
und zum Teil sogar lustig – und bestimmt besser, als »Castagna«, Kastanie, genannt zu werden. Unangenehm war dagegen der Gentleman, der auf einem öffentlichen Platz laut »Gestapo, Gestapo!« rief und immer ungeduldiger wurde, weil ich darauf nicht reagierte. Noch schlimmer allerdings sind die Kunden, die – weil sie keinen der beiden Namen verstanden haben – es mit einem selbst erfundenen versuchen. Sie nennen mich häufig »Tony«, als ob in Italien alle auf den Namen Antonio getauft seien. Die amüsanteste Variante stammt von einem distinguierten Herrn aus Washington, der, obwohl ich mich mit Dario vorgestellt hatte, einen ganzen Vormittag lang »Louie« zu mir sagte. Bei Tisch fragte ich ihn schließlich, weshalb er diesen Namen anstelle meines richtigen verwende. Er schaute mich verwundert an und sagte: »Aber heute Morgen habe ich mich beim Hotelempfang erkundigt, wer mein Reiseleiter sei, und da hat der Portier auf Sie gedeutet und gesagt ›Louie‹.« Ich erklärte ihm, dass lui das ›Italienisch‹ Wort sei für »er« …
Normalerweise reserviere ich für das Mittagessen einen Tisch im Restaurant meiner Freundin Gina und ihrer Tochter Carla. Sie decken in ihrem Privatgarten für uns, im Schatten eines alten Ahorns, von wo aus man einen schönen Blick auf die Chianti-Hügel hat. Gina ist ein echtes Chianti-Original, die mich wie ihren eigenen Sohn behandelt und die auch für mich so etwas wie eine zweite Mutter ist. Sie hat den typisch robusten Humor der Toskaner, verfügt aber auch über so viel Fröhlichkeit, dass sie sogar einen Verurteilten zum Lachen bringen könnte. Am Tag darauf ist sie dann vielleicht unnahbar und macht ein Gesicht, als ob sie um ein Familienmitglied trauere. Ich bevorzuge eindeutig die Gina der ersten Version, die ihre Arme weit ausbreitet, wenn sie mich sieht und ausruft:« Darino, il mio bambino! « Wenn ich mich dann gesetzt habe, erzählt sie mir alle ihre kurzweiligen Neuigkeiten, klatscht schließlich in die Hände und ruft aus: »Mamma mia!«, was meine Kunden total begeistert, weil das so typisch italienisch ist. Meine Kunden beten sie an und schicken mir oft Fotografien und Briefe, die ich an sie weiterleiten muss. Sowohl Gina als auch Carla – die würdige Nachfolgerin ihrer Mutter, sowohl was das Temperament als auch die Kochkunst betrifft – freuen sich, mich und meine Kunden mit ihren unverfälschten, hausgemachten Speisen voll zu stopfen.
Wie in jedem anständigen toskanischen Restaurant beginnt das Mittagessen mit einer Platte voller crostini - kleine Scheiben geröstetes Brot mit einer Paste als Brotaufstrich. Wenn sie aufgetischt werden, rufen die Amerikaner fast unweigerlich: »Ah, bruschetta! «, und ich muss ihnen erklären, dass bruschetta normalerweise größer ist als ein crostino und nur mit Knoblauch, Olivenöl und Salz gewürzt. Die Aufstriche auf den crostini dagegen sind sehr unterschiedlich, beispielsweise eine Paste aus Hühnerleber oder aus Milz, aus frischen Tomaten und Basilikum, Steinpilzen, Mayonnaise und Knoblauch, Petersilie und weiteren Gewürzkräutern und vielem anderem mehr.
Nachdem die crostini verschwunden sind, was meistens sehr schnell der Fall ist, wischen sich meine Kunden den Mund und sagen: »Danke, Dario, ein ausgezeichnetes Mittagessen. Wohin gehen wir jetzt?«
Mittagessen? Aber wir haben doch eben erst damit begonnen! Jetzt kommt eine dampfende ribollita, gefolgt von einer Platte hausgemachter Ravioli, dann Teigwaren mit Zucchini, sofort danach Wildschweinragout, und jetzt können wir zum Hauptgang übergehen: Rindfleisch vom Grill mit Steinpilzen und gebackenem Gemüse, dazu der Hauswein in einer bauchigen Flasche. Nun sollten Sie kurz Atem holen – hier kommt Carlas hausgemachtes Tiramisu. Zur Verdauungsförderung gibt es zum Schluss einen Schluck Grappa.
Wenn ich dieses extravagante Menü ankündige, denken viele meiner Kunden, ich scherze. Und dann kommen die Speisen – und mehr – und noch mehr – und noch mehr, und alle machen sich genussvoll darüber. Mit einem vollen Magen und ein wenig Wein, der unsere Zungen löst, gelingt es uns leichter, uns gegenseitig kennen zu lernen. Plötzlich ertappe ich mich, wie ich allerlei Fragen beantworte, die weit über das Chianti-Gebiet und seine Freuden hinausgehen – einschließlich solche über merkwürdige und oft unverständliche Angewohnheiten der Italiener, die Landespolitik und sogar die sizilianische Mafia.
Bei weitem die häufigste Frage ist: »Esst ihr
Weitere Kostenlose Bücher