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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dario Castagno
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Mannschaft aus Bologna her, sodass diese gezwungen war, sich in den Umkleideräumen zu verbarrikadieren.
    Der Aufruhr dauerte an. Ein wilder Münzenregen setzte ein, aus dem der arme Brian als Opfer hervorging. Er wurde mitten auf der Stirn von einem Hundert-Lire-Geschoss getroffen, und zwar so heftig, dass er zur Behandlung zum Erste-Hilfe-Posten gebracht werden musste. Als wir uns durch den Tumult drängten, zeigten die Bolognesen den Einheimischen erneut ihren nackten Allerwertesten, was die Sienesen dermaßen erboste, dass sie schließlich die Polizei überwältigten und in den Käfig der gegnerischen Fans eindrangen. Die Bolognesen hatten keine Zeit, ihre Hosen wieder hochzuziehen. Die Sienesen rissen sie ihnen ganz weg und trugen sie zum Stadion hinaus, wo sie lange genug verweilten, um die Busfenster einzuschlagen. Die Bolognesen mussten also halb nackt nach Hause fahren, auf Glassplittern und mit einem kalten Wind um die bloßen Beine.
    Als wir den Erste-Hilfe-Posten verlassen konnten – Brian mit einem Eisbeutel auf seiner geschwollenen Stirn -, wollten wir zu unseren Plätzen zurückkehren und Paul abholen. Aber er war spurlos verschwunden. Voller Panik suchten wir das Stadion ab, bis ein Polizeibeamter uns fragte, ob wir Hilfe brauchten. Ich sagte ihm, wir hätten einen amerikanischen Touristen verloren. Er fragte mich, ob er zufällig eine schwarz-weiße Jacke getragen habe. Ich nickte, worauf der Polizeibeamte auf einen Posten zeigte und sagte: »Ihr Freund wurde verletzt; er wird dort verarztet!«
    Ich raste zum Posten, gefolgt von Brian, der den Polizeibeamten nicht verstanden hatte und noch immer benommen war wegen seiner eigenen Verletzung. Drinnen fanden wir Paul mit einem Arzt, der ihm seine Wange nähte.
    »Was ist passiert?«, fragte Brian.
    »Ich weiß nicht genau«, sagte er verwirrt. »Ich weiß nur, dass jemand mich plötzlich ins Gesicht schlug und dann davonlief.« Später wurde mir klar, dass Paul der Farben seiner Jacke wegen irrtümlich für einen Anhänger der Mannschaft von Bologna gehalten worden war, weswegen ein aufgebrachter Einheimischer ihn brutal angegriffen hatte.
    Die Bologna-Sektion hatte sich inzwischen geleert und sah aus wie ein verlassenes Schlachtfeld. Überall lagen Fahnen, Kleider, Taschen, sonstige Gegenstände und Schutt. Die ganze Arena, die nur eine halbe Stunde zuvor von Getrommel und Geschrei gedröhnt hatte, war leer. Brian und ich waren die einzigen übrig gebliebenen Zuschauer, weil wir warten mussten, bis Pauls Wunde verarztet war.
    Ich schämte mich schrecklich. Den ganzen Tag über hatte ich mich damit gebrüstet, dass Siena eine ruhige Stadt sei, ohne Kriminalität, ein sicherer Ort, an dem Gewalt nie überhand nehme. Und nun hatte ich zwei von den Leuten, denen ich all das erzählt hatte, in eine Art Hexenkessel begleitet, und beide waren dabei zu Schaden gekommen.
    Als ich mit ihnen ins Hotel zurückfuhr, verflog die ursprüngliche Panik allmählich. Sie fingen sogar an, die Sache lustig zu finden. Nach ihrer Rückkehr nach Amerika hätten sie ihren Freunden etwas ganz Besonderes zu erzählen! Leider waren ihre Frauen sehr viel weniger amüsiert. Der Schock beim Anblick ihrer zusammengeflickten Männer brachte sie richtig in Fahrt. Sie wollten die Fans verklagen, die Mannschaft, die Polizei, die Stadt – und sogar mich, weil ich vorgeschlagen hatte, die beiden zum Spiel mitzunehmen! Ich weiß nicht mehr, was ich ihnen erwiderte, aber irgendwie gelang es mir, sie zu beschwichtigen. Am nächsten Morgen, als die beiden Paare schon nach Hause geflogen waren, warf ich einen Blick auf das Lokalblatt. Die Schlagzeile lautete: ZWEI AMERIKANISCHE FANS IN SIENA ANGEGRIFFEN. Ich überlegte mir, ob ich Paul und Brian ein Exemplar davon zur Erinnerung nachsenden sollte, ließ den Gedanken dann aber fallen und kaufte die Zeitung für mich.

September und der Zeitmesser
     
    Im Chianti haben alle Jahreszeiten Verspätung, und so gibt es im September erst wenige Herbstvorboten. Die Trauben reifen überall, und viele Blumen blühen noch immer – schöne wilde Möhren, Wegwarten und Alpenveilchen, deren rosa Blüten sich öffnen, bevor die Blätter erscheinen. Im Wald sind immer mehr Menschen anzutreffen. Pilzsammler schwärmen aus. Sie suchen köstliche Stein- und sonstige essbare Pilze. In dieser Jahreszeit muss man ganz besonders auf der Hut sein vor den Vipern, weil die Weibchen jetzt in die Bäume klettern und ihre Jungen auf die Welt bringen, weshalb sie auf

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