Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)
arbeiten würde. Ich lächelte ihnen zu und knetete mit den Fingern den Saum meiner Weste.
Wie auf ein stummes Kommando zückten plötzlich alle ein Kärtchen aus ihren Hosen- oder Rocktaschen und betrachteten es intensiv. Auch Frau Schmalberg hatte jetzt so ein Kärtchen in der Hand.
»Unser Tages-Credo ist Credo acht«, sagte sie und las dann von der Karte ab: »Wir achten und begrüßen jeden Gast, den wir sehen.« Sie schmetterte den Satz wie eine frohe Botschaft in den Raum und sah gespannt in die Runde.
Ich sah mich irritiert um. Was ist denn das, dachte ich erstaunt. Wo bin ich hier? Bei den Messdienern? In einem Mädcheninternat? Oder in einer Sekte, die auf den Weltuntergang wartet? Wir begrüßen jeden Gast, klar tun wir das, das machen doch alle im Hotel. Ich suchte die Blicke der Kolleginnen, um irgendjemanden zu finden, der das auch so merkwürdig fand wie ich und ein bisschen mit den Augen rollte. Aber ich sah niemanden. Die meinten das wirklich ernst.
Frau Schmalberg suchte jetzt nach einer Freiwilligen, die erklären sollte, was mit dem Tages-Credo gemeint ist. Was soll damit wohl schon gemeint sein, hätte ich gerne gefragt. Grüßen, das ist ziemlich eindeutig, oder? »Guten Tag« bietet sich da an, oder »Guten Morgen«, »Ey, Bruder, alles klar?« eher weniger. Hätte ich das sagen sollen? Natürlich nicht. Niemand sagte ein Wort. Mir schien,
als würden alle die Luft anhalten, bemüht, durch keinen Atemzug Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Ich beugte mich zu einem der Zimmermädchen hinüber. »Was soll das?«, flüsterte ich ihr zu.
Das Mädchen kniff erschrocken die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Zu spät. Die Hausdame hatte ihr Opfer gefunden.
»Sandy, erklären Sie.«
Sandy gab sich einen Ruck.
»Also, das bedeutet, dass wir jeden Gast, den wir im Zimmer treffen oder auf dem Flur, auch grüßen, und wenn er was will, das dann auch machen.«
Betretenes Schweigen. Ich fühlte ein ungutes Zwicken im Zwerchfell. Hilfe, dachte ich, Hilfe, Hilfe, Hilfe, nicht lachen, nicht lachen.
Frau Schmalberg fand die Erklärung »ganz toll« und wiederholte den Satz noch einmal, nicht weniger salbungsvoll als beim ersten Mal.
»Wir achten und begrüßen jeden Gast, den wir sehen.« Ich hatte jetzt langsam Probleme mit dem Luftholen. Blut schoss mir in den Kopf, ich presste die Lippen zusammen, als wollte ich dazwischen eine Briefmarke bügeln, und kniff mit aller Kraft in den Westenzipfel. Es war vergebens. Das Lachen brach stoßweise aus mir heraus, gepresst, prustend. Frau Schmalberg und nun auch der Rest der Anwesenden starrten mich an, als hätte ich gerade das Weihwasser ausgetrunken.
»Geben Sie der Neuen ihre Credo-Karte. Warum hat sie noch keine?«
Das richtete sich an Frau Gabriel, die rote Flecken auf
den Wangen bekam. Es folgten noch zwei kleine Nachbeben, bis ich mich wieder im Griff hatte.
»Verlier das nie!«, Frau Gabriel sah mich durchdringend an, als sie mir meine ganz persönliche Credo-Karte in die Hand drückte.
»Wenn du überraschend danach gefragt wirst, ist es besser, du hast die Karte dabei.«
Ich nahm das Kärtchen und erschrak ein wenig. Ging hier wirklich jemand durchs Haus, um die Mitarbeiter nach der Credo-Karte zu fragen? Fünfzehn Sätze standen auf der Karte.
»Wir ehren und schätzen uns gegenseitig«, »Wir helfen uns in der Not« und noch dreizehn, die so ähnlich klangen.
Das Büro, das Frau Gabriel und allen anderen von unserer Fremdfirma zugewiesen war, war eher ein Schuhkarton als ein Zimmer. Mit viel gutem Willen passten vier Personen hinein, wenn zum guten Willen gehört, dass man auch auf der Tischkante sitzt.
Die Besprechung fand darum im selben Raum statt wie die große Runde, nur dass wir jetzt unter uns waren: Frau Gabriel, sechs Assistentinnen, ich würde die siebte sein, und fünfunddreißig Zimmermädchen, die wie ein Haufen Schulkinder zusammenstanden, Kaugummi kauten und in mir zum Teil unverständlichen Sprachen einen Schwatz hielten. Eine der Assistentinnen stellte sich mir als Nadine vor und lächelte mich an. Nadine hatte an ihrem makellosen Aussehen sehr sorgfältig gearbeitet: das Make-up war perfekt, die Augenbrauen penibel genau und gleichmäßig gezupft und die Haare leuchteten so
golden, dass das unmöglich echt sein konnte. Sie sprach mit einem leichten Berliner Akzent und hatte ein ansteckendes Lachen. Ich dachte an Katja und Sara und wie lange es gedauert hatte, bis wir drei zueinander gefunden hatten. Nadine war
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