Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)
seiner grenzenlosen Wichtigkeit gar keine Lust hat zurückzugrüßen, und vielleicht sogar, indem er uns nicht grüßt, irgendeinen Ärger, den ihm sein Job, sein wichtiger Job, gerade macht, abreagiert.«
Ich fragte Nadine, wie sie es mit den Nichtgrüßern hält. »Ach«, sagte sie, »vergiss die. Wenn du putzt, wirst du halt nicht gegrüßt. So ticken die.«
»Aber warum? Die sehen uns doch.«
»Natürlich sehen die uns. Aber sie sind daran gewöhnt, dass andere um sie herum den Dreck wegmachen. Wer uns nicht mehr zu sehen braucht, der hat’s geschafft. Wir sind eine anonyme Masse, die einen Zweck erfüllt. Fertig.« Sie zuckte mit den Schultern.
Zum ersten Mal, seit ich im Hotel arbeitete, empfand ich ein Gefühl für Oben und Unten. Die Gäste hier waren so weit oben, dass sie uns da unten gar nicht mehr sahen. Wir waren im toten Winkel.
»Du bist zu empfindlich«, tadelte mich Sara, als ich ihr davon erzählte. »Kann uns doch schnuppe sein.«
Bald war klar, dass ich Nachhilfe von ihr brauchen würde: Schnuppe-sein-Lassen für Anfänger. Denn auch die Hotelangestellten – also eigentlich meine Kollegen – waren vom Virus des Nichtgrüßens befallen. Sie mussten sich bei den Gästen irgendwie angesteckt haben. Der hauseigene Zimmerservice rang sich meist noch ein Hallo ab. Aber wer zur Rezeption oder gar zum Marketing gehörte, schaffte es spielend, uns vollständig zu ignorieren.
Das kannte ich noch von der Berufsschule: Die Angestellten in Nobelhotels fühlen sich irgendwann selbst nobel. Am schlimmsten sind die Concierges. Es steigt ihnen zu Kopf, dass sie so viel Macht haben und Dinge über die Gäste wissen, die sonst niemand wissen darf. Sie besorgen den Prominenten die Friseurtermine, organisieren Karten für ausverkaufte Opernvorführungen, wissen immer, wo man einen guten Tisch zum Abendessen bekommen kann und was die Prostituierten pro Stunde kosten.
In der Sterneskala war ich ganz oben angekommen. Ich arbeitete in einem der teuersten Hotels der Hauptstadt, mitten im Zentrum Berlins, die Nacht kostete dreihundert Euro und mehr. Hier übernachteten Menschen, die in einem Jahr so viel Geld verdienten wie ich vielleicht im ganzen Leben nicht. Ich wischte täglich über Marmor und streichelte Seide. Ich war umgeben von goldenen Bilderrahmen mit echten Kunstwerken darin und von teuren Teppichen, die nur in eine Richtung gesaugt werden durften. Zugleich war ich im Kastenwesen der Nobelhotellerie in der untersten Kaste angekommen. Ich war für alle irgend so eine »Fremdputze«. So sprach man über uns, wenn man glaubte, wir hörten es nicht. Selbst
die Praktikanten des Hotels, die für kein oder fast kein Geld monatelang schufteten, wollten mit uns nicht mal eine Zigarette rauchen gehen.
Als ich an meinem zweiten Tag eine Mittagspause machen wollte, fragte ich Nadine, wo die Kantine sei und ob sie nicht schnell mit mir hingehen wolle. Nadine erklärte mir zwar den Weg, fügte dann aber hinzu: »Wir gehen da nicht hin.«
Ich war irritiert. »Ich würde wirklich gerne Pause machen.«
»Dort willst du keine Pause machen.« In der Kantine, so erklärte sie mir, waren wir von Plan-FF nicht erwünscht. Es wäre auch finanziell nicht attraktiv gewesen, dort zu essen: Die Festangestellten zahlten in der Kantine nichts für ihr Essen, wir Externen hingegen schon. Wir mussten ungefähr fünf Euro für eine Mahlzeit ausgeben, die natürlich nichts mit der hoteleigenen Sterneküche gemein hatte, sondern in schöner Regelmäßigkeit nur halb warme Königsberger Klopse hervorbrachte. Für fünf Euro mussten die Zimmermädchen zwei Stunden putzen.
»Niemand von uns geht dorthin«, stellte Nadine klar, als ginge es ihr darum, eine Ehrenregel des heiligen Ordens der Zimmermädchen zu untermauern, gegen die zu verstoßen mit mehreren Jahren Kerkerhaft bestraft würde.
Auch im Royal würden also eine gelegentliche Rauchpause und ein mitgebrachter Apfel eine warme Mahlzeit ersetzen. Ich hatte schon im Central nicht eben zugenommen, aber im Royal war ich bald dünn wie ein Faden.
Nadine nutzte die Pausen, um mit den Wäschefahrern
einer anderen Fremdfirma zu flirten, die die Offices mit frischer Ware versorgten. Ein-, zweimal habe ich mich auch dazugesellt und mitgeflirtet, aber es war mir dann doch ein bisschen zu albern.
»Ist doch nett«, sagte Nadine, »so holt man sich jeden Tag ein paar Komplimente ab.«
Sieben oder acht Zimmermädchen unserer Firma arbeiteten pro Etage. Sie kamen aus China, Polen und
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