Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)
Arm.
Katja habe ich mehr als einmal heulend neben der Tiefkühltruhe im Keller gefunden, ein Geschirrtuch in den Händen, das sie vor Wut zu zerreißen versuchte. Manchmal
setzte ich mich einfach dazu und heulte eine Runde mit.
In den wenigen Momenten, in denen wir Zeit zum Nachdenken hatten, fragten wir uns manchmal, ob das hier ewig so weitergehen konnte. Wer will schon immer nur bedienen?
Wenn wir ehrlich hätten sagen sollen, was wir da im Hotel lernten, es hätte sich für jeden anderen lächerlich und banal angehört. Tische eindecken, aha, Kännchen servieren, Wahnsinn, Betten machen, wow. Ich hatte ihnen von meinen Immobilienplänen erzählt, die, je mehr Zeit verstrich, in immer weitere Ferne rückten. Ich glaube, ich habe im Central im Abstand von mehreren Monaten ganze drei Bewerbungen geschrieben, und trotzdem habe ich mir die ganze Zeit gesagt: Du kannst ja immer noch was anderes machen.
Ich betrog mich selbst, aus Bequemlichkeit vielleicht, oder weil die Tage so schnell vergingen und weil die andauernde Müdigkeit in den Beinen so lähmend war, und weil es immer wieder diese wunderbaren Momente mit den Kollegen gab, die für jeden Ärger entschädigten.
Ich hasste es, Teller abzuspülen, immer dieses dreckige Geschirr in den Fingern zu haben, aber ich hatte immerhin einen Job, einen richtigen, und ich war immerhin wichtig genug für eine ganze Menge Leute, die ohne mich weder Kaffee zum Frühstück noch ihr Erdbeereis am Nachmittag bekommen hätten. Ohne mich würde das Central nicht funktionieren, konnte ich mir sagen, und das war nicht mal gelogen. Dass das der Mechanismus der Selbstausbeutung
ist – zu wenig Geld, zu viel Verantwortung –, kam mir erst viel später in den Sinn.
Wir waren manchmal bis spät in die Nacht nur zu zweit im Hotel, zwei junge Frauen von neunzehn und zwanzig, eine an der Bar und eine am Empfang. Und niemand, der uns im Notfall hätte helfen können. Das Central war nicht klein und außerdem ziemlich verwinkelt. Ein Hotel macht auch nachts Geräusche, und wenn die langen Gänge verwaist dalagen, schlossen wir die Haupttür ab und öffneten nur, wenn sich jemand zweifelsfrei als Gast ausweisen konnte.
So spät alleine im Hotel zu sein fühlte sich an wie damals, als ich mit zehn, elf Jahren zum ersten Mal abends alleine zu Hause war, meine Mutter hielt mich für groß genug, es bis zehn Uhr auszuhalten, aber in Wahrheit fürchtete ich mich vor jedem Schritt, den ich im Treppenhaus hörte, und vor jedem Lichtschein, der durchs Fenster meines Kinderzimmers traf.
Es ist ungerecht, dachte ich: Ein Mann, der alleine an der Rezeption sitzt, muss nie fürchten, dass eine Zimmertür aufgeht und eine baumstarke, angetrunkene, zu allem entschlossene Frau herauskommt und ihn ins Zimmer zerrt. Was für ein unfassbares Privileg, ohne diese Vergewaltigungsangst leben zu dürfen.
Ich habe es gehasst, an der Bar zu stehen, ohne Gäste und Kollegen in der Nähe, oder an der Rezeption, von wo aus mich die Freier, die auf dem Ku’damm auf und ab spazierten, sehr gut sehen konnten. Hätte mich einer gepackt und irgendwohin gezerrt, ich hätte ruhig schreien können. Es hätte mich niemand gehört.
Manchmal betraten zu später Stunde Obdachlose die Lobby. Woher sollte ich wissen, ob ihnen einfach nur kalt war, ob sie mich um Geld bitten oder Ärger machen wollten? Ich hielt vor Schreck den Atem an, wenn einer von ihnen hereinschlurfte und vor sich hin murmelnd auf mich zukam. Der Trick war, sie gar nicht erst wie einen Obdachlosen zu behandeln. Wenn ich freundlich fragte, wie ich ihnen helfen könne, dann verloren sie bald die Lust, mit mir zu reden, und verzogen sich, genauso langsam, wie sie hereingekommen waren.
Sara hatte einmal, als ihre Frühschicht begann, einen Obdachlosen im dritten Stock gefunden, der es sich dort im Treppenhaus gemütlich gemacht hatte. Sie erschrak so sehr, dass sie einen Schrei ausstieß, wodurch der Mann aus seinem Schlaf geweckt wurde. Er schaute sie an, als sei er nicht sicher, ob sie zu seinem Traum oder zur Wirklichkeit gehöre. Sie nahm sich zusammen und wies ihn an, aufzustehen und sich hinauszubegeben. Er gehorchte tatsächlich, rappelte sich auf, kramte seine Sachen zusammen, und es schien ihr, als sei ihm das Ganze, nun da er wach war, ein wenig peinlich. Doch als sie zu zweit im Aufzug standen und sich die beiden Metallflügel der Tür geschlossen hatten, fixierte er ihre Augen und rückte näher an sie heran als es ihr lieb sein konnte.
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