Total Recall
nächsten? Wie bewegen sich die Hände? Welchen Gesichtsausdruck hat man dabei? Ich hatte bis dahin kaum Gelegenheit gehabt, über diese Dinge nachzudenken. Wag zeigte mir, wie man das Tempo herausnimmt und die Posen wie ein Ballett wirken lässt, welche Rolle die Haltung spielt, dass man den Rücken gerade halten und den Kopf hochhalten muss, anstatt ihn zu senken.
Das verstand ich ja noch, doch der Gedanke, meine Posen zu Musik vorzuführen, behagte mir ganz und gar nicht. Wag spielte die Filmmusik von Exodus auf seiner Stereoanlage und gab mir meinen Einsatz, damit ich meine Posen vorführte. Zunächst konnte ich mir nichts Peinlicheres vorstellen. Außerdem lenkte mich die Musik ab. Aber nach einer Weile begriff ich, dass ich meine Bewegungen choreografieren und der Melodie folgen konnte – leise Momente für eine konzentrierte, schöne Dreiviertelrückenpose, die dann fließend überging in eine seitliche Brustpose, wenn sich die Musik steigerte, und dann, mit dem Crescendo kam – Tusch! – eine Most-Muscular-Pose.
Diane konzentrierte sich darauf, mich mit jeder Menge Protein zu versorgen und mir bessere Manieren beizubringen. Wahrscheinlich dachte sie manchmal, ich wäre von Wölfen aufgezogen worden. Ich wusste nicht, wie man richtig mit Messer und Gabel aß oder dass man nach dem Essen half, den Tisch abzuräumen. Diane machte da weiter, wo meine Eltern, Fredi Gerstl und Frau Matscher aufgehört hatten. Sie regte sich nur selten auf, aber als sie sah, wie ich mir nach einem Wettkampf wortlos den Weg durch die Fans bahnte, wurde sie richtig wütend. Ich dachte nur: »Ich habe gewonnen. Jetzt wird gefeiert.« Doch Diane packte mich am Arm und sagte: »Arnold, so etwas macht man nicht. Diese Leute sind extra gekommen, um dich zu sehen. Sie haben Geld dafür gezahlt, und manche kommen von weit her. Du musst dir ein paar Minuten Zeit nehmen und ihnen ein Autogramm geben.« Ihre Ermahnung öffnete mir wirklich die Augen. Bis dahin hatte ich nie an die Fans gedacht, immer nur an meine Konkurrenten. Doch von nun an nahm ich mir immer auch Zeit für meine Fans.
Selbst die Kinder von Diane und Wag beteiligten sich am Projekt »Educating Arnold«. Wahrscheinlich gibt es keine bessere Möglichkeit, Englisch zu lernen, als mit einer Londoner Familie unter einem Dach zu leben, in der niemand Deutsch spricht und wo man auf der Couch schläft und von sechs mehr oder weniger kleinen Kindern umlagert wird. Sie behandelten mich wie einen Riesenwelpen und brachten mir begeistert neue Wörter bei.
Es gibt ein Foto aus der Zeit, auf dem ich bei meiner ersten Begegnung mit meinem Idol Reg Park zu sehen bin. Reg trägt eine Jogginghose, ist gebräunt und entspannt, während ich meine kurze Trikothose anhabe und blass und eingeschüchtert wirke. Immerhin stand ich neben Herkules, dem dreimaligen Mister Universum, dem Star, dessen Bild ich mir an die Wand gehängt hatte, dem Mann, nach dessen Vorbild ich mein Leben geplant hatte. Ich brachte kaum ein Wort heraus. Mein Englisch war wie weggeblasen.
Reg lebte mittlerweile mit seiner südafrikanischen Frau in Johannesburg und besaß mehrere Fitnessstudios, reiste aber mehrmals im Jahr geschäftlich nach England. Er war mit den Bennetts befreundet und hatte sich großzügig bereit erklärt, mich in die Geheimnisse seines Erfolgs einzuweihen. Wag und Diane waren der Ansicht, dass ich bessere Chancen beim Mister Universum hätte, wenn ich in England bekannter wäre. Das erreichte man damals durch Auftritte bei verschiedenen Veranstaltungen. Überall auf den britischen Inseln gab es lokale Bodybuilding-Veranstaltungen, bei denen man auftreten und sich ein bisschen Geld verdienen konnte. Reg war auf dem Weg zu einer Veranstaltung in Belfast und bot an, mich mitzunehmen. Sich einen Namen zu machen läuft im Bodybuilding ähnlich wie in der Politik. Man reist von Stadt zu Stadt in der Hoffnung, dadurch bekannter zu werden. Und diese Basisarbeit funktionierte. Die dabei entstandene Begeisterung trug sicherlich dazu bei, dass ich beim nächsten Anlauf den Titel des Mister Universum gewann.
Eines Abends stand ich also in den Kulissen und sah zu, wie Reg seine Posen vor mehreren hundert jubelnder Fans vorführte. Danach ging er ans Mikrofon und rief mich auf die Bühne. Während ich meine Kraft demonstrierte – ich zeigte beidarmige Bizeps-Curls mit 275 Pfund und schaffte beim Kreuzheben 500 Pfund fünfmal hintereinander –, machte Reg den Moderator. Danach erhielt ich stehende
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