Total verhext
anders überlegst … Sie sind im Krug dort auf dem Kaminsims. Das ist echt klatschianische Keramik. Von einem klatschianischen Töpfer hergestellt.« Um eventuelle Reste von Zweifel auszuräumen, fügte Desiderata hinzu: »Aus Klatsch.«
TATSÄCHLICH?
»Früher bin ich viel unterwegs gewesen.«
JA? »Eine großartige Zeit.« Desiderata schürte das Feuer. »Gehörte alles zu meinen Pflichten. Nun, ich schätze, du bist in einer ähnlichen Situation.«
JA.
»Ich wußte nie, wann man mich rufen würde. Du kennst das ja. Hauptsächlich bestellte man mich in Küchen. Manchmal bekam ich auch Gelegenheit, Ballsäle zu besuchen, aber meistens waren’s irgendwelche Küchen.« Sie griff nach dem Kessel und goß heißes Wasser in die Teekanne.
INTERESSANT.
»Ich habe ihnen Wünsche erfüllt.«
Tod zögerte verwirrt.
WAS? MEINST DU DAMIT … NEUE SCHRÄNKE UND SPÜLEN? ETWAS IN DER ART?
»Nein, nein. Ich spreche nicht von den Küchen, sondern von Leuten.« Desiderata seufzte. »Als gute Fee hat man große Verantwortung. Man muß wissen, wo es die Grenze zu ziehen gilt. Wenn man bestimmten Personen zu viele Wünsche erfüllt, sind sie später alles andere als sympathisch. Woraus folgt: Sollte man nur berücksichtigen, was sie möchten – oder sollte man ihnen besser geben, was sie brauchen?«
Tod nickte höflich. Seiner Meinung nach bekamen die Leute, was sie verdienten.
»Zum Beispiel die Sache mit Gennua …«, begann Desiderata.
Tod hob ruckartig den Kopf.
GENNUA?
»Kennst du die Stadt? Oh, natürlich, dumme Frage. Zweifellos hast du auch dort zu tun.«
ICH … BIN MIT ALLEN ORTEN VERTRAUT.
Desideratas Gesicht gewann einen verträumten Ausdruck, und ihre inneren Augen blickten in die Ferne.
»Wir waren zu zweit. Es muß immer zwei gute Feen geben, weißt du. Lady Lilith und ich … In der Feenschaft verbirgt sich viel Macht. Es ist, als werde man Teil des historischen Stroms. Wie dem auch sei, das Mädchen wurde unehelich geboren, und wenn schon, ich meine, sie hätten heiraten können, nichts hinderte sie daran, sie kamen nur nie dazu … Nun, Lilith wünschte der Kleinen Schönheit und Macht und die Ehe mit einem Prinzen. Ha! Seitdem arbeitet sie daran. Was konnte ich machen? Hat es einen Sinn, sich gegen solche Wünsche zu wenden? Lilith weiß, welchen Einfluß eine Geschichte zu entfalten vermag. Ich habe mir alle Mühe gegeben, aber sie ist stärker als ich. Lilith, meine ich. Wie ich hörte, herrscht sie nun über die Stadt. Allem Anschein nach verändert sie ein ganzes Land, nur damit es den Ansprüchen der Geschichte genügt! Und jetzt ist es ohnehin zu spät. Für mich. Deshalb gebe ich die Verantwortung weiter. Tja, man muß sich damit abfinden. Niemand möchte eine gute Fee sein. Abgesehen von Lilith. In dieser Hinsicht hat sie einen Fimmel. Wie ich schon sagte, ich schicke jemand anders. Aber vielleicht habe ich ihr damit zuviel Zeit gelassen.«
Desiderata war ausgesprochen freundlich. Feen haben einen tiefen Einblick in die menschliche Natur, und dadurch werden die guten unter ihnen sanft und wohlwollend, während die schlechten Macht erlangen. Frau Hohlig benutzte keine Kraftausdrücke, und der Umstand, daß sie sich in diesem besonderen Fall dazu hinreißen ließ, von einem »Fimmel« zu sprechen, vermittelte folgende Botschaft: Sie glaubte, daß Lilith den Ereignishorizont des Wahnsinns mit hoher Geschwindigkeit überflogen hatte und immer noch beschleunigte.
Die alte Hexe füllte eine Tasse mit Tee.
»Darin liegt das Problem mit der Hellseherei«, fuhr sie fort. »Man sieht, was geschehen wird, aber die betreffenden Ereignisse bleiben ohne Bedeutung. Ich habe den Blick in die Zukunft gerichtet und eine Kutsche gesehen, die aussieht, als wäre sie aus einem Kürbis geschnitten. So etwas ist ausgeschlossen. Hinzu kommen Kutscher aus Mäusen, was mir zumindest unwahrscheinlich erscheint. Außerdem gibt es eine Uhr, die Mitternacht schlägt. Und gläserne Schuhe oder so. Und all das wird einen Weg ins Hier und Heute finden, in die Realität, denn so funktionieren Geschichten nun einmal. Tja, und dann dachte ich: He, du kennst Leute, die in der Lage sind, Geschichten ihren Willen aufzuzwingen.«
Desiderata seufzte einmal mehr. »Ach, wenn ich doch nur selbst nach Gennua reisen könnte … Die dortige Wärme würde mir gewiß nicht schaden. Und bald ist Dicker Dienstag. Damals habe ich den Dicken Dienstag immer in Gennua verbracht.«
Erwartungsvolle Stille schloß sich an.
DU BITTEST DOCH
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