Tote erinnern sich (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
mein Freund Costigan. »Weshalb sollte dieser schwarze Teufel dir etwas schicken, was dir nicht schadet?«
»Ich hatte an eine Bombe gedacht oder etwas ähnliches«, antwortete ich, »aber dieses Päckchen hier ist zu dünn, um so etwas zu enthalten. Ich werde es öffnen.«
»Nicht zu glauben!«, lachte Costigan kurz darauf. »Der schickt dir eines von seinen Liedern!«
Vor uns lag eine ganz gewöhnliche Schallplatte.
Sagte ich gewöhnlich? Ich könnte sagen, die ungewöhnlichste Schallplatte der ganzen Welt. Denn nach unserem besten Wissen war es die einzige Schallplatte, die in ihren Rillen die goldene Stimme Giovanni Casonettos gefangen hielt, jenes großen, bösen Genies, dessen Operngesang die Welt verzaubert und dessen dunkle, geheimnisvolle Verbrechen eben diese Welt in Schrecken versetzt hatten.
»Die Todeszelle, in der Casonetto saß, wartet auf den nächsten Todeskandidaten, und der finstere Sänger ist tot«, sagte Costigan. »Was ist also der Zauber dieser Platte, dass er sie dem Mann schickt, der ihn an den Galgen gebracht hat?«
Ich zuckte die Achseln. Durch reinen Zufall, ohne dass ich mir das hätte zugute halten können, war ich über Casonettos schreckliches Geheimnis gestolpert. Es war nicht mein Wunsch gewesen, auf die Höhle zu stoßen, in der er uralte Abscheulichkeiten praktizierte und dem Teufel, den er anbetete, Menschenopfer darbot. Aber was ich gesehen hatte, habe ich vor Gericht ausgesagt, und bevor der Henker die Schlinge zuzog, hatte Casonetto mir ein Schicksal versprochen, wie es vor mir noch kein Mensch erlebt hatte.
Die ganze Welt wusste von den Scheußlichkeiten jenes unmenschlichen, dämonischen Kults, dessen Hohepriester Casonetto gewesen war. Und jetzt, nach seinem Tod, waren Schallplattenaufnahmen seiner Stimme von wohlhabenden Sammlern gesucht, aber gemäß den Bedingungen seines letzten Willens waren alle vernichtet worden.
Zumindest hatte ich das geglaubt, aber die dünne, runde Scheibe in meiner Hand bewies, dass wenigstens eine der allgemeinen Zerstörung entgangen war. Ich starrte sie an, aber die Fläche in der Mitte war leer und trug keinen Titel.
»Lies die Nachricht«, schlug Costigan vor.
In dem Päckchen war auch ein kleiner weißer Zettel gewesen. Ich überflog ihn. Es war Casonettos Schrift.
»Für meinen Freund Stephen Gordon, von ihm allein in seinem Arbeitszimmer anzuhören.«
»Das ist alles«, sagte ich, nachdem ich diesen seltsamen Wunsch laut vorgelesen hatte.
»Sicher, und das ist mehr als genug. Ist es nicht Schwarze Magie, die er da an dir versucht? Weshalb sollte er sonst wünschen, dass du dir sein Jaulen allein anhörst?«
»Das weiß ich nicht. Aber ich glaube, ich werde es tun.«
»Du bist ein Narr«, sagte Costigan unverhohlen. »Wenn du nicht auf meinen Rat hören und das Ding ins Meer werfen willst, dann werde ich selbst bei dir sein, wenn du die Scheibe auf dein Grammofon legst. Und das ist mein letztes Wort!«
Ich versuchte nicht, ihm zu widersprechen. Zwar fühlte ich mich wegen der Rache, die Casonetto mir angedroht hatte, etwas beunruhigt, aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie das durch die bloße Wiedergabe eines Liedes geschehen sollte, das ich über ein Grammofon hörte.
Costigan und ich begaben uns in mein Arbeitszimmer und legten die letzte Aufnahme von Giovanni Casonettos goldener Stimme auf den Plattenteller. Ich sah, wie Costigans Kinnmuskeln sich streitlustig spannten, als die Scheibe sich zu drehen begann und die Diamantnadel sich in den kreisenden Rillen bewegte. Unwillkürlich strafften sich meine Muskeln wie für einen bevorstehenden Kampf. Jetzt sprach klar und deutlich eine Stimme.
»Stephen Gordon!«
Ich zuckte zusammen und hätte beinahe geantwortet! Wie seltsam und beängstigend es doch ist, den eigenen Namen von der Stimme eines Mannes gesprochen zu hören, von dem man weiß, dass er tot ist!
»Stephen Gordon«, fuhr die klare, goldene, so gehasste Stimme fort, »wenn Sie das hören, werde ich tot sein, denn sollte ich leben, werde ich Sie auf eine andere Weise beseitigen. Die Polizei wird bald hier sein, und sie haben mir jeden Fluchtweg abgeschnitten. Mir bleibt nichts übrig, als mich meinem Prozess zu stellen, und Ihre Worte werden eine Schlinge um meinen Hals legen. Aber für ein letztes Lied ist Zeit!
Dieses Lied werde ich auf diese Platte bannen, die jetzt auf meinem Aufzeichnungsgerät liegt, und ich werde sie Ihnen, ehe die Polizei eintrifft, durch jemanden schicken, der mich nicht im Stich
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