Tote erinnern sich (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
offen in ihren hölzernen Angeln, und man sah ihn nicht mehr wie ein dunkles Gespenst durch die Fichtenwälder schreiten. Die Farbigen wussten es vielleicht, aber sie sprachen nie darüber. Er war im Geheimen gekommen, im Geheimen lebte er und im Geheimen ging er, und niemand wusste, auf welcher Straße er gegangen war. Wenigstens gab niemand je zu, dass er es wusste. Vielleicht wussten es die düsteren Wasser. Vielleicht hatten Kellys Opfer sich endlich gegen ihn gewandt. Mag sein, dass jene einsame Hütte in den schwarzen Schatten der klagenden Fichten ein düsteres Mitternachtsgeheimnis kannte. Oder vielleicht hatten die dunklen Wasser des Tulip Creek eine Gestalt aufgenommen, die feucht aufklatschte und stumm versank.
Vielleicht war der Zaubermann aber auch nur aus Gründen, die ganz die seinen waren, nachts seiner geheimnisvollen Wege gegangen und betrieb jetzt an irgendeinem anderen Fluss seine fantastischen Geschäfte. Niemand weiß es. Ein Geheimnis hängt wie eine Wolke über seinem Kommen und Gehen, undurchdringlich wie die Nacht in den Fichtenwäldern, so dunkel, dass es auf dieser Seite des Vergessens keine schwärzere Dunkelheit gibt.
Aber sein Schatten spukt noch heute über den langen, düsteren Ufern. Und wenn der Wind durch die nachtfarbenen Fichten unter dem Sternenhimmel heult, dann werden einem die alten Schwarzen sagen, dass dies der Geist des Zaubermannes ist, der in den schwarzen Schatten der Fichten zu den Toten flüstert.
Tote erinnern sich
Dodge City, Kansas,
3. November 1877
Mr. William L. Gordon,
Antioch, Texas
Lieber Bill,
ich schreibe dir diesen Brief, weil ich das Gefühl habe, dass ich nicht mehr lange auf dieser Welt zu leben habe. Das mag dich überraschen, weil du weißt, dass ich bei guter Gesundheit war, als ich die Herde verließ, und übrigens auch jetzt nicht krank bin, aber ich glaube trotzdem, dass ich so gut wie ein toter Mann bin.
Ehe ich dir erkläre, weshalb ich das glaube, will ich dir den Rest von dem schildern, was ich sagen muss, nämlich dass wir mit der Herde gut nach Dodge City gekommen sind. Nach meiner Zählung waren es 3.400 Rinder, und der Trailboss, John Elston, bekam von Mr. R. J. Blaine zwanzig Dollar das Stück, aber Joe Richards, einer von den Cowboys, ist in der Nähe des Übergangs über die kanadische Grenze von einem Stier getötet worden. Seine Schwester, Mrs. Dick Westfall, lebt in der Nähe von Seguin, und ich wäre sehr dankbar, wenn du zu ihr reiten und ihr das von ihrem Bruder sagen würdest. John Elston schickt ihr seinen Sattel, sein Zaumzeug, seine Waffe und Geld.
Und jetzt will ich versuchen, dir zu erklären, weshalb ich glaube, dass ich erledigt bin. Du erinnerst dich, im letzten August, unmittelbar bevor ich mit der Herde nach Kansas abzog, haben sie den alten Joel, der einmal Colonel Henrys Sklave gewesen war, und seine Frau tot aufgefunden – das sind die, die drunten am Zavalla Creek, in dem Dickicht aus Virginiaeichen, gelebt haben. Du weißt ja, dass sie seine Frau Jezebel genannt haben, und die Leute sagten, sie sei eine Hexe. Sie war ein Mulattenmädchen und wesentlich jünger als Joel. Sie hat den Leuten ihre Zukunft vorhergesagt, und es gab sogar Weiße, die vor ihr Angst hatten. Ich hab von all diesen Geschichten nie etwas gehalten.
Na ja, als wir die Rinder für den Viehtrieb zusammentrieben, befand ich mich gegen Sonnenuntergang in der Nähe von Zavalla Creek, und mein Pferd war müde, und ich hatte Hunger. Und da dachte ich mir, ich schaue mal bei Joel vorbei und bitte seine Frau, dass sie mir etwas zu essen kocht. Also ritt ich zu seiner Hütte mitten in dem Wald aus Virginiaeichen. Joel war gerade dabei für Jezebel, die über einem offenen Feuer ein Stück Rindfleisch briet, Holz zu hacken. Ich erinnere mich, dass sie ein rot und grün kariertes Kleid trug. Ich werde das ganz bestimmt nie vergessen.
Sie forderten mich auf, abzusteigen, und das habe ich auch getan, und dann setzten wir uns hin und aßen herzhaft zu Abend. Dann brachte Joel eine Flasche Tequila, und wir tranken einen Schluck, und ich sagte, ich könnte ihn beim Würfeln schlagen. Er fragte mich, ob ich Würfel bei mir hätte, und ich sagte nein, und dann sagte er, er hätte Würfel und würde mit mir um ein Fünf-Cent-Stück spielen.
Also fingen wir an zu würfeln und Tequila zu trinken, und ich ließ mich ziemlich volllaufen und wollte eigentlich weiterziehen, aber Joel hat mein ganzes Geld gewonnen, das waren etwa fünf Dollar und
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