Tote erinnern sich (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
später am Tag suchte ich die Hallworthys auf, die nicht weit von meinem Apartment wohnten. Ich erkannte gleich, dass ihre Gedanken immer noch bei Van Dorn weilten, und lenkte das Gespräch bewusst in andere Bahnen.
Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück und betrachtete die beiden, die vor mir auf einem Sofa saßen. Malcolm Hallworthy war ein Mann von der Art, von der ich immer gehofft hatte, dass meine Schwester eines Tages einen heiraten würde; freundlich, fast übertrieben freundlich, großzügig und sanft, aber nicht weich wie Van Dorn. Er war nur wenige Jahre älter als Joan, wirkte aber wegen seiner nachsichtig beschützenden Art reifer. Und doch kamen mir die beiden manchmal wie zwei glückliche Kinder vor. Diese Einstellung zeigte sich jetzt auch in der Haltung, die Malcolm unbewusst eingenommen hatte: einen Arm um den schlanken Körper der jungen Frau gelegt, die sich an ihn schmiegte. Der einzige Zweifel, den ich an seiner Person hatte, war, dass er zu nachsichtig handelte. Joan war eine eigensinnige, manchmal skrupellose junge Frau, zu jung noch, um eine eigene Meinung zu haben, und sie brauchte manchmal eine starke Hand, die sie führte.
»Wie schaffst du es denn, diese kleine Giftnudel zu bändigen, Malcolm?«, fragte ich geradeheraus.
Er lächelte und strich ihr sanft über die Locken.
»Die Liebe zähmt selbst die Wildesten, Steve.«
»Ich bezweifle, dass man eine Frau mit Liebe allein bändigen kann«, antwortete ich. »Bevor sie geheiratet hat, konnte sie, immer wenn sie wollte, eine kleine Wildkatze sein. Wenn du ihr zu sehr ihren Willen lässt, wirst du eines Tages feststellen, dass du sie verdorben hast.«
»Ihr redet, als wäre ich ein Kind«, schmollte Joan.
»Das bist du. Ich warne dich, Malcolm, ihre Mutter hat ihr die letzte Tracht Prügel verpasst, als sie siebzehn war.«
Ein Schatten zog über Hallworthys fein geschnittene, sensible Züge.
»Das ist nie notwendig. Ein Kind mit Schlägen zu bestrafen, ist einfach brutal – mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Ein Überbleibsel aus der Steinzeit, für das im zwanzigsten Jahrhundert kein Platz sein sollte. Nichts widert mich so sehr an, wie jemand, der einem Schwächeren seinen Willen mit der uralten Tyrannei der Schläge aufzwingt.«
Ich lachte. Ich war lange Zeit auch durch die Hinterhöfe der Welt gezogen, und das hatte mich gegenüber vielen Dingen hart gemacht. Hallworthys Betrachtungsweise konnte ich mich bei manchen Themen wohl kaum anschließen, und was das betraf, auch der Joans nicht. Obwohl wir Bruder und Schwester waren, war unser Leben – bis auf die allerletzte Zeit – so unterschiedlich wie die beiden Pole gewesen. Sie war im Luxus herangewachsen, ich war schon als Achtjähriger in die Welt hinausgezogen, und einige der Dinge, die ich gesehen hatte, und der Straßen, durch die ich gezogen war, waren nicht gerade die schönsten gewesen.
»Es gibt viele Dinge, die vielleicht nicht richtig sind«, sagte ich. »Aber sie sind notwendig.«
»Da muss ich widersprechen!«, rief Hallworthy aus. »Was unrecht ist, kann niemals notwendig sein! Dass etwas richtig ist, macht es notwendig, so wie es unnötig ist, wenn es unrecht ist.«
»Warte!« Ich hob eine Hand. »Du glaubst also, dass man etwas, wenn es richtig ist, auch tun sollte, auch wenn es böse Folgen hat?«
»Die Folgen von etwas Richtigem sind nie böse.«
»Du bist ein hoffnungsloser Idealist. Nach deiner Theorie sollte man den Leuten alles Wissen, das aus der Forschung gewonnen wird, zugänglich machen, da es ganz sicherlich unrecht ist, die Menschheit im Unwissen verharren zu lassen?«
»Ja, sicherlich. Du scheinst zu glauben, dass das, was am Ende herauskommt, darüber entscheidet, ob etwas falsch oder richtig ist. Ich glaube, dass alles von seinem Wesen her recht oder unrecht ist und dass nur das Rechte zu guten Ergebnissen führen kann.«
»Warte. Du vergisst, dass die meisten Leute nicht einmal das Wissen in sich aufnehmen können, das in den vergangenen Jahrhunderten gewonnen wurde. Angenommen, Hypnotismus wäre eine bewiesene Tatsache; wäre es dann richtig, allen Menschen die Macht zu geben, andere unter ihre Kontrolle zu bringen?«
»Ja, wenn es eine bewiesene Tatsache wäre. Es ist unrecht, Wissen zu unterdrücken. Und deshalb ist es recht, Wissen zu verbreiten, und die Ergebnisse wären gut.«
An jenem Abend suchte ich Professor Falraths Wohnung auf. Ich hatte mir die Erlaubnis beschafft, das zu tun. Ich beabsichtigte, mir seine Papiere
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