Tote erinnern sich (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
die feuchte Augen umrahmten, eine schimmernde Wolke aus Haar … über die Schultern des Schreckens blickte mir einen Augenblick lang atemberaubende Schönheit direkt ins Gesicht.
Kapitel 2: Sklave des Haschisch
Vom Zentrum der Erde durchs siebte Tor
Stieg ich auf den Thron des Saturn empor.
Omar Khayyam
Mein Traum von dem Schädelgesicht überwand die für gewöhnlich unpassierbare Grenze zwischen dem Zauber des Haschisch und dem Stumpfsinn des Alltags. Ich hockte im Schneidersitz auf einer Matte in Yun Shatus Tempel der Träume und setzte die schwindenden Kräfte meines im Zerfall begriffenen Gehirns darauf an, sich an Ereignisse und Gesichter zu erinnern.
Dieser letzte Traum war völlig anders gewesen als alle, die ich jemals zuvor gehabt hatte. Er riss mich aus meiner Gleichgültigkeit und ich wollte seiner Herkunft auf den Grund gehen. Als ich angefangen hatte, mit Haschisch zu experimentieren, bemühte ich mich, physikalische oder psychische Erklärungen für die damit verbundenen, wild wuchernden Illusionen zu finden. In letzter Zeit begnügte ich mich damit, einfach zu genießen, ohne mich mit Ursache und Wirkung auseinanderzusetzen.
Wie war zu erklären, dass mir diese Vision so unerklärlich vertraut erschien? Ich nahm meinen pochenden Schädel zwischen die Hände und suchte mühsam nach einem Hinweis. Ein lebender Toter und ein Mädchen von ungewöhnlicher Schönheit, das über seine Schulter geblickt hatte. Und dann erinnerte ich mich.
Einst im Nebel der Tage und Nächte, der die Erinnerung eines Haschischsüchtigen verschleiert, war mein Geld zur Neige gegangen. Es schien mir Jahre, vielleicht sogar Jahrhunderte her zu sein, aber mein stockender Verstand sagte mir, dass es eigentlich nur ein paar Tage gewesen sein konnten. Jedenfalls war ich wie gewöhnlich in Yun Shatus schäbiger Kneipe erschienen und war von seinem kräftigen Helfer Hassim hinausgeworfen worden, als sich herausstellte, dass ich kein Geld mehr besaß.
Während meine kleine Welt in ihre Einzelteile zerfiel und meine Nerven wie gespannte Klaviersaiten vor Gier zitterten, kauerte ich in der Gosse. Ich gab Laute von mir wie ein Tier, bis Hassim herausstolziert kam und mein Jammern mit einem Schlag zum Schweigen brachte, der mich halb benommen zu Boden sinken ließ.
Als ich mich schließlich wieder erhob, taumelnd und mit keinem anderen Gedanken als an den Fluss, der ganz in meiner Nähe mit kühlem Murmeln dahinplätscherte – als ich mich also erhob, legte sich eine sanfte Hand auf meinen Arm, so als würde mich eine Rose berühren. Ich fuhr erschreckt herum und stand verzaubert vor lauter Liebreiz, der sich meinem Blick darbot. Dunkle Augen, feucht vor Mitleid, musterten mich und die schmale Hand auf meinem zerlumpten Ärmel zog mich zur Tür des Tempels der Träume. Ich zuckte zurück, aber eine leise Stimme, weich und melodisch, drängte mich und erfüllte mich auf seltsame Weise mit Vertrauen, sodass ich meiner schönen Führerin mit schwankenden Schritten folgte.
An der Tür erwartete uns Hassim mit erhobenen Pranken und einem finsteren Blick auf seinem affenähnlichen Gesicht. Aber wie ich so geduckt dastand und jeden Augenblick mit einem Schlag rechnete, hielt er inne, als er die erhobene Hand des Mädchens und ihre gebieterisch klingende Stimme wahrnahm.
Ich verstand nicht, was sie genau sagte, aber ich nahm wie durch einen Schleier wahr, dass sie dem Schwarzen Geld gab. Dann führte sie mich zu einem Diwan, bedeutete mir, mich hinzulegen, und rückte mir die Kissen zurecht, als wäre ich der König von Ägypten und nicht ein zerlumpter, schmutziger Abtrünniger, der nur noch für das Haschisch lebte. Ihre schlanke Hand ruhte einen Moment lang kühl auf meiner Stirn, dann war sie verschwunden. Yussef Ali kam und brachte mir den Stoff, nach dem meine Seele lechzte – und bald wanderte ich aufs Neue durch jene fremden und exotischen Länder, wie sie nur ein Sklave des Haschisch kennt.
Als ich so auf der Matte saß und über den Traum mit dem Schädelgesicht nachgrübelte, stellte ich mir weitere Fragen. Seit das unbekannte Mädchen mich zurück in die Kaschemme geführt hatte, kam und ging ich wie früher, als ich noch genügend Geld gehabt hatte, um Yun Shatu zu bezahlen. Offensichtlich bezahlte jetzt jemand für mich, und während mein Unterbewusstsein mir einredete, dass es das Mädchen war, hatte mein eingerostetes Gehirn es nicht geschafft, diese Tatsache in ihrer Gänze zu erfassen oder sich zu fragen, warum sie
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