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Tote essen kein Fast Food

Titel: Tote essen kein Fast Food Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Baron
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hinter uns.“
    In der Tat. Seit zwanzig Minuten klemmte Papas Jeep Huckepack auf dem knallroten Autozug, der uns von Niebüll über den neun Kilometer langen Hindenburgdamm nach Sylt schütteln sollte. Wahrscheinlich heißt er deshalb „Shuttle“, weil man sich darin fühlt, als würden einem die kleinen grauen Zellen einzeln aus dem Hirn gesiebt. Jasper klemmte hinter mir auf dem Rücksitz zwischen Martins Allwetter-Ausrüstung, die neben einem polartauglichen Schlafsack auch noch ein Zweimannzelt enthielt, seinem Laptop und einem Jahresabo National Geographic von 2011, für das er bisher noch keine Zeit gehabt hatte. Ich hatte mich auf meine XXL-Sporttasche, Gummistiefel und mein Florett beschränkt, um im Training zu bleiben.
    „Wieso hast du eigentlich gepackt wie für eine dreiwöchige Expedition ins neuseeländische Outback?“, fragte ich und kurbelte das Seitenfenster herunter, um mich der Realität in Form der einheitlich matschigen Wattlandschaft zu meiner Rechten auszuliefern. „Andere Leute nehmen auf eine einsame Insel höchstens ein Fernrohr mit, ein Feuerzeug und vielleicht noch ihre Frau.“ Ich lehnte mich nach draußen, um das vordere Ende des Zugs zu sehen. „Dabei ist Sylt noch nicht mal einsam.“ Im Gegenteil. Der doppelstöckige Autozug war ausgebucht bis zum letzten Platz und es sah aus, als mache die halbe Republik dort Urlaub.
    „Kommt noch“, antwortete Martin. Um seine Mundwinkel zuckte es verdächtig. „Fürs Erste genügen ja vielleicht eine Tochter und ein Hund.“
    Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung, dass er das „Kommt noch“ vollkommen ernst und das „Fürs Erste“ wortwörtlich meinte.
    „Ich möchte einfach für alle Eventualitäten gerüstet sein.“
    „Vor sechs Wochen sah es bei Tante Hedi noch ganz okay aus. Und die eine oder andere Bettdecke wird sie ja wohl auch besessen haben.“
    „Das werden wir gleich sehen. In einer Dreiviertelstunde sind wir da.“
    Jasper streckte neben meinem Kopf die Nase zum Seitenfenster hinaus, legte sein Knautschgesicht in noch mehr Falten und sah aus, als sei ihm schlecht. Seine Ohren versuchten im Wind zu flattern, aber sie sind so klein, dass sie sich nur nach hinten legten wie frisch gegelt. Mir war auch ein bisschen übel. Drei Wochen mit Papa in Großtante HedisEingeborenen-Bude. Was war da schon zu erwarten außer Muff, Staub, gruseligen Tapeten und LANGEWEILE hoch fünf.
    Ich sollte mich täuschen. Sehr.
    Tante Hedis Haus ist reetgedeckt und liegt in einem sympathisch unordentlichen Garten am nördlichen Ende von List, kurz bevor die Heide- und Dünenlandschaft beginnt. Es gab nur eine kleine undichte Stelle im Dach, wie sich gleich am zweiten Tag herausstellte, ansonsten war Papas Erbstück eine wahre Fundgrube.
    Martins Tante war Hobbyornithologin gewesen, ungefähr 1,80 Meter groß, und sie hatte einen ausgeprägten Sinn für schrille Deko besessen. Ihr Wohnzimmer war voller ausgestopfter Vögel, die Wände und Regale bevölkerten, oder besser gesagt „bevögelten“ und dafür sorgten, dass man sich an jedem Platz des Zimmers aus unheimlichen wimpernlosen Vogelaugen beobachtet fühlte. Ich kam mir vor, als sei ich nicht allein im Raum, selbst wenn Martin gerade im Garten zugange war.
    Auf den Fensterbänken tummelten sich historische Lockenten nebst Vogeleiern in allen Farbschattierungen und Musterungen. In Tante Hedis Kleiderschränken hingen abgedrehte Klamotten in Überlänge und auf dem Wohnzimmertisch und seinem wackeligen Pendant im Garten standen schwere viereckige Aschenbecher aus Glas, bis zum Rand voll mit Kippen, die problemlos einen halben Kindergarten hätten vergiften können.
    Nur der Vollständigkeit halber: Tante Hedi ist keineswegs an Lungen- oder Kehlkopfkrebs gestorben. Sie hat sich dasGenick gebrochen bei dem Versuch, im zarten Alter von 78 Jahren auf einen Baum in ihrem Garten zu klettern, um drei Vogeljunge vor räuberischen Elstern zu retten. Ein kleiner Vogel hat überlebt, einen hat sich die Elster geholt, wie eine vom Gekreische alarmierte Nachbarin uns erzählte. Und der dritte ruht nun zusammen mit Tante Hedi auf dem Lister Friedhof.
    Lediglich die Tapetensituation in Tante Hedis Haus hatte ich korrekt in Erinnerung. Martins und meine Lieblingstapete hing im Klo: rosagelber Blümchendruck auf dunkel olivfarbenem Grund. Und an der Wand eine Art Zeitungsständer, der vom Kreuzworträtselheft bis zu Mare , Geo Wissen und Die Vogelwelt alles beherbergte, was man an diesem Ort zur

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