Tote Fische beißen nicht: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (German Edition)
Strähnen hervorlugten. Ihr apartes Gesicht wirkte durch eine breitrandige dunkle Brille sehr lebendig.
»Ich freue mich immer, auf eine Schwester im Geiste zu treffen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Hut ab«, kommentierte Pippa Régines Kopfputz.
»Man tut, was man kann. Ich will gerade Feierabend machen, wollen wir einen Happen essen gehen?«
Als sie vor die Tür traten, deutete Régine zum Himmel. »Normalerweise arbeite ich länger, aber heute ist vielleicht einer der letzten schönen Tage, bevor der gefürchtete Autan-Wind kommt. Den will ich nicht in meinem dunklen Büro verbringen.«
Pippa sah zum strahlend blauen Himmel hinauf. »Woran siehst du denn bitte, dass sich das Wetter verschlechtern wird?«, fragte sie verblüfft.
»In den Tagen vor dem Autan ist es besonders klar und windstill. Und man kann meilenweit sehen. Die Bauern der Umgebung wissen dann: Der Autan will wehen. Nutzt eure Zeit!«
»Dann lass uns das tun.«
Sie setzen sich vor ein winziges Restaurant, das unter den Arkaden und auf dem Marktplatz Tische aufgestellt hatte. Eine mit Kreide beschriftete Tafel wies auf das Mittagsangebot hin. Während die beiden wählten, trat Pascal an ihren Tisch. »Ich muss zurück, Pippa. Kommst du mit?«
»Ich würde gerne noch einen Moment bleiben. Hast du nicht Lust, dich zu uns zu setzen?«
»Lust ja – Zeit nein. Der Wagen ist voller Lebensmittel, und ich muss das Abendessen vorbereiten. Ich könnte dich später abholen.«
»Ich kann Pippa anschließend mitnehmen, Pascal«, bot Régine an, »dann brauchst du nicht zweimal zu fahren.«
»Du machst aber meinetwegen keinen Umweg, oder?« Das wollte Pippa auf keinen Fall.
»Keine Sorge, ich wohne selbst in Chantilly«, erklärte Régine.
Pippa strahlte. Ihre Zeit in Chantilly hatte sie bisher ausschließlich mit den Anglern, deren Frauen und der Crew des Vent Fou verbracht – sie sehnte sich nach einem Stück echtem Frankreich. Außerdem wollte sie unbedingt ein Fernglas kaufen, damit sie Vögel und die Landschaft beobachten konnte, während sie am Schreibtisch saß.
Beim Essen kamen die beiden Frauen schnell auf die Suche nach Jean Didier zu sprechen.
»Ich habe Pia geraten, das Geheimnis zu lösen«, erklärte Régine, »die ewige Tuschelei im Ort muss endlich aufhören. Die Peschmanns sollen unbeschwert dort leben können.«
»Kannst du mir aus deiner Sicht etwas zu dem Fall sagen?«, fragte Pippa.
Régine schüttelte den Kopf. »Ich war damals zehn Jahre alt. Ich kann mich nur an die Aufregung und das Misstrauen im Ort erinnern. Und daran, dass das Wasser aus dem See abgelassen wurde, um nach der Leiche zu suchen.«
»Wie bitte? Der gesamt Lac Chantilly wurde geleert?«
» Toilette machen – so nennt man das hier. Wir Kinder fanden das natürlich klasse. Turnusmäßig geschieht das ohnehin alle zehn Jahre, um den See schlammfrei zu halten – aber die letzte Toilette war erst drei Jahre her. Weitere sieben wollte Thierry Didier nicht auf Gewissheit warten. Die Rechnung für diese Aktion konnte er dann aber nicht bezahlen.«
»Man hat ihm für die Suche nach seinem vermissten Sohn eine Rechnung geschickt?«, fragte Pippa ungläubig.
»Für Taucher, Polizeieinsatz, Helikopter und die gesamte Suche wurde er nicht zur Kasse gebeten. Aber das reichte ihm nicht. Thierry war wie besessen – er war davon überzeugt, dass er seinen Sohn im Schlamm des Sees finden würde, und bestand auf der Toilette, also musste er auch dafür bezahlen.«
»Ich vermute, er hat sein Haus in der Rue Cassoulet mit einer Hypothek beliehen, um an Geld zu kommen?«
»Viel schlimmer«, sagte Régine, »es sollte zwangsversteigert werden. Hätten die Legrands es nicht gekauft, wäre das Bonace vielleicht auch noch draufgegangen.«
»Das war doch sehr nett von Lisette und Ferdinand.«
»Die Didiers haben das nicht so gesehen. Ihrer Meinung nach waren die Legrands schuld an all dem Kummer und Unglück, von dem sie dann auch noch profitierten.«
»Eine klassische Sackgasse«, sagte Pippa nachdenklich. »Kein Wunder, dass es aus dieser vertrackten Situation keinen Ausweg gibt.«
»Und du? Was hast du schon herausgefunden?«
Pippa berichtete kurz von ihren Ermittlungen und den Erkenntnissen ihrer zahlreichen Helfer. »Du siehst – ich habe jede Menge Unterstützung. Nur nicht durch die örtliche Polizei.«
Régine lachte vergnügt. »Du warst in der Gendarmerie von Chantilly?«
»Monsieur Dupont fühlte sich durch uns eindeutig gestört.« Pippa verdrehte
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