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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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irrem, glotzendem Blick gegen die Wand gelehnt saß. Grin holte aus und schlug zu. Der Schädelknochen knirschte. Finis.
    Im Laufschritt zurück in den Salon. Er riß den Vorhangauf, damit Stieglitz Bescheid wußte. Auch damit mehr Licht ins Zimmer drang.
    Aronson ließ er erst einmal sitzen – mit ihm war vorläufig nichts anzufangen, das sah man.
    Er band Nadel los, zog ihr den Knebel aus dem Mund. Befeuchtete mit einem Taschentuch behutsam die blutenden Lippen.
    »Verzeihen Sie mir«, war das erste, was sie sagte, und gleich noch einmal: »Verzeihen Sie mir! Um ein Haar hätte ich Sie ins Verderben gerissen … Ich war mir immer sicher gewesen, daß sie mich niemals lebend in die Finger kriegen. Aber vorhin, als sie mich packten und reinzerrten, da war ich wie gelähmt. Auch wie sie mich auf den Stuhl hier setzten, hätte ich die Möglichkeit noch gehabt. Die Nadel rauszuziehen und mir in den Hals zu bohren, meine ich. Tausendmal habe ich es mir vorgestellt. Und plötzlich ging es nicht …«
    Sie schluchzte auf, Tränen rollten ihr über das blutunterlaufene Jochbein.
    »Es hätte nichts geändert«, suchte Grin sie zu beschwichtigen. »Wenn Sie es gemacht hätten, wäre ich trotzdem gekommen. Wozu also.«
    Die Erklärung schien Nadel nicht zu trösten, im Gegenteil. Nun liefen ihr die Tränen über beide Wangen.
    »Sie wären wirklich gekommen?« fragte sie.
    Die Frage ergab keinen Sinn. Grin antwortete nicht darauf.
    »Was war hier los?« fragte er. »Was hat Aronson?«
    »Das da ist Chrapows Wachgruppenführer«, erklärte Nadel, während sie sich zu fangen versuchte. »Erst dachte ich, er ist von der Geheimpolizei. Aber die benehmen sich anders. Der hier hat sich aufgeführt wie ein Wahnsinniger. Sie sindschon seit gestern abend hier. Das konnte ich dem Gespräch entnehmen. Er wollte Sie unbedingt auf eigene Faust finden. Ganz Moskau hat er abgesucht Ihretwegen.« Ihre Stimme festigte sich allmählich, die Augen waren noch feucht, doch es flossen keine Tränen mehr. »Aronsons Wohnung muß schon seit Tagen von der Geheimpolizei überwacht worden sein. Vermutlich seit der Sache mit Rachmet. Und der«, sie deutete mit dem Kinn wieder auf die Leiche des Stabsrottmeisters, »hat den Agenten bestochen, der für die Überwachung zuständig war.«
    »Seydlitz«, sagte Grin. »Er heißt Seydlitz.«
    »Der Agent? Woher wissen Sie das?« fragte Nadel erstaunt.
    »Nein, der da«, meinte Grin schon ein wenig gereizt; zu viel Zeit verging mit überflüssigen Erklärungen. »Weiter.«
    »Gestern hat der Agent Seydlitz mitgeteilt, ich sei bei Aronson gewesen und mit einem Paket weggegangen. Der Agent ist mir nachgelaufen und hat mich verloren. Ich hab den Spürhund zwar nicht mitbekommen, bin aber zur Sicherheit auf der Pretschistenka in einen dieser vertrackten Höfe abgetaucht. Reine Routine.«
    Grin nickte. So verfuhr auch er.
    »Und als Seydlitz davon erfuhr, sind sie zu dritt hier bei Aronson aufgekreuzt. Er hat ihn die ganze Nacht gefoltert. Bis zum Morgen hat Aronson standgehalten, dann ist er eingeknickt. Ich weiß nicht, was die mit ihm gemacht haben, aber … Sie sehen ja selbst. Er sitzt schon die ganze Zeit so da. Schaukelt und heult …«
    Stieglitz kam vom Korridor hereingestürzt. Blaß, mit weit aufgerissenen Augen.
    »Tote!« rief er. »Und das bei offener Tür!«
    Als er sah, was im Salon los war, verstummte er.
    »Mach sie zu«, sagte Grin. »Und zerr die Toten rein.«
    Dann wandte er sich wieder Nadel zu.
    »Was wollten sie?«
    »Von mir? Daß ich ihnen sage, wo Sie sind. Seydlitz hat mich bloß verhört und beschimpft. Geprügelt hat der mit den aufgekrempelten Ärmeln.« Stieglitz, totenbleich, war gerade dabei, den Agenten über das Parkett zu schleifen. »So ging das eine ganze Weile: Seydlitz hat eine Frage gestellt, und ich hab geschwiegen. Dann hat der andere mir eine reingehauen und den Mund zugestopft, damit ich nicht schreie.« Sie betastete ihr Jochbein, verzog das Gesicht.
    »Nicht anfassen«, sagte Grin. »Ich mache das. Erst will ich mit Aronson reden.«
    Er näherte sich dem verwirrten Privatdozenten und tippte ihn an die Schulter.
    Der reagierte mit einem durchdringenden Heulton, machte sich steif, klammerte sich an die Armlehne.
    Ein geschwollenes, vollkommen unkenntliches Gesicht blickte Grin an – aus einem einzigen, glupschenden Auge. Anstelle des zweiten klaffte ein grellrotes Loch.
    »Ahhh!« schluchzte Aronson. »Sie! Sie müssen mich töten, hören Sie! Ich bin ein Verräter.

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