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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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zu Stieglitz und stand auf. »Etwas erledigen. Jemelja übernimmt das Kommando. Den Sprengstoff nicht anrühren.«
    »Kann ich mitkommen?« rief Stieglitz und war schon bei ihm. »Jemelja liest, die anderen dreschen Karten, und ich? Die Dosen sind alle fertig. Ich komme um vor Langeweile.«
    Grin überlegte. Warum nicht? Wenn etwas passierte, konnte der Junge die Genossen warnen.
    »Von mir aus komm mit.«
     
    Von der Straße aus gesehen, schien die Luft rein.
    Erst waren sie mit der Droschke am Haus vorbeigefahren und hatten nach den Fenstern geschaut. Nichts Verdächtiges. Ein Vorhang offen, einer geschlossen.
    Dann liefen sie die Ostoshenka noch einmal zu Fuß zurück, getrennt und nacheinander. Keine herumlungernden Hausknechte, keine Honigpunschverkäufer mit Stielaugen, keine Müßiggänger.
    Das Haus wurde eindeutig nicht überwacht.
    Grin wurde etwas ruhiger. Er schickte Stieglitz in den Frisörladen, der genau gegenüber von Aronsons Hauseingang lag. Er sollte sich den Flaum von den Wangen schaben lassen, dabei in Schaufensternähe bleiben und auf das Signalfenster achtgeben. Wenn der zweite Vorhang aufging, durfte er hinaufkommen. Blieb er auch nach zehn Minuten noch geschlossen, hieß das, die Wohnung war ein Hinterhalt. In diesem Fall hatte er schleunigst zu verduften.
    Vor der Tür mit dem Kupferschild
    Privatdozent Semjon L. Aronson
    hielt Grin inne und lauschte.
    Er stand lange so, denn aus der Wohnung drangen seltsameLaute: etwas wie das Winseln eines eingesperrten Hundes. Einmal ein sehr kurzer, durchdringender Aufschrei – als wäre jemand am Losbrüllen gehindert worden.
    So schrie einer nicht von ungefähr. Und Hunde hatte Aronson auch keine. Also zückte Grin den Revolver und betätigte die Türglocke. Er sah sich prüfend um: Die Mauern schienen dick. Schüsse im Treppenhaus würden zu hören sein, wenn drinnen geschossen wurde, wohl kaum.
    Hastige Schritte im Korridor. Zwei Männer.
    Die Kette klirrte, die Tür ging einen Spalt auf, ein feuchtglänzendes Augenpaar erschien. Grin hieb den Revolverknauf mitten hinein.
    Dann stieß er die Tür mit aller Kraft nach innen, sprang über den Stürzenden hinweg (er sah nur ein weißes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln), sah den Zweiten, der erschrocken zurückprallte. Grin packte ihn bei der Gurgel, damit er nicht schrie, und rammte ihm den Kopf gegen die Wand. Er gab den erschlaffenden Körper nicht gleich frei, ließ ihn langsam zu Boden rutschen.
    Irgendwo hatte er diesen aufgezwirbelten roten Schnurrbart, dieses Kamelott-Jackett schon gesehen.
    »Was ist?« rief eine Stimme aus der Tiefe der Wohnung. »Habt ihr ihn? Bringt ihn her!«
    »Zu Befehl!« belferte Grin und lief durch den Korridor, auf die Stimme zu – erst geradeaus und dann nach rechts, in den Salon.
    Den Dritten, dieses weißblonde Rotgesicht, erkannte er sofort, zugleich fiel ihm ein, woher er die beiden anderen kannte: Stabsrottmeister Seydlitz, Wachgruppenführer unter General Chrapow, und zwei seiner Leute. Er hatte sie in Klin gesehen, im Waggon.
    In dem Zimmer gab es noch mehr zu sehen, doch hierfür war erst einmal keine Zeit, denn beim Anblick des hereinstürmenden Fremden mit dem gezückten Revolver fletschte der Gendarm die Zähne und fuhr sich mit der Hand ins Jackett. (Er trug diesmal keine Uniform, sondern einen khakifarbenen Anzug mit Weste.) Grin zielte auf den Kopf, um sicherzugehen, schoß aber ungenau. Seydlitz griff sich glucksend an die aufgerissene Gurgel, ging in die Hocke. Seine wasserhellen Augen blickten Grin haßerfüllt an. Er hatte ihn erkannt.
    Noch einmal mochte Grin nicht schießen – ein unnötiges Risiko. Er trat vor den Verwundeten hin und zerschlug ihm mit dem Revolverknauf das Schläfenbein.
    Erst jetzt erlaubte er sich, nach Aronson und Nadel zu sehen. Letztere war an einen Lehnstuhl gefesselt. Das Kleid über der Brust zerrissen, man sah die helle Haut mit der dunklen Grube dazwischen. Sie hatte einen Knebel im Mund, ihre Lippen waren zerschlagen. Unter dem Auge ein Bluterguß, der immer größer und schwärzer wurde. Um den Privatdozenten schien es noch schlimmer zu stehen. Er saß am Tisch, den Kopf auf den Händen, wiegte sich rhythmisch hin und her und stieß dieses leise, unablässige Winseln aus.
    »Ich komme gleich«, sagte Grin und rannte zurück in den Korridor. Die betäubten Agenten konnten jeden Moment zu sich kommen.
    Zuerst erledigte er den immer noch reglos an der Tür Liegenden. Dann wandte er sich nach dem anderen um, der mit

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