Tote im Salonwagen
Furnierplatte abgedeckt. Sobald ich im Park auftauche, hüpfen Sie flugs in den Schneehaufen und sind vor den Augen der staunenden Terroristen wie vom Erdboden verschluckt. Durch den Graben tauchen Sie unter dem Schlachtfeld hinweg bis zur Straße und kommen dort heil und unversehrt wieder hervor. Wie finden Sie meinen Plan?«
Aus der Frage klang Stolz, doch gleichzeitig schienen dem Fürsten Zweifel zu kommen.
»Aber vielleicht sind Sie ja noch zu angegriffen für so etwas? Oder kommt Ihnen die Sache zu riskant vor? Dann sagen Sie es ohne Umschweife. Nur keine falsche Scham!«
»Der P-plan ist gut. Das Risiko nicht übermäßig groß.«
Fandorin hatte keine Angst. Er kämpfte mit ganz anderen Gefühlen. Die Aktion, das Risiko, die zu befürchtende Schießerei – all dies war bedeutungslos gegen die Bedrückung in seiner Brust, da ein Gedanke ihn nicht losließ: Der gezielte Überfall der Banditen auf Kabine sechs konnte eigentlich nur eine Erklärung haben …
»Ich hätte einen Vorschlag zu machen«, sagte der Fürst, während er die Taschenuhr aus seiner Westentasche fingerte. »Es ist zwar schon spät, doch nehme ich an, Sie haben genügend geschlafen, und ich bekomme vor solch einer heiklen Operation sowieso kein Auge zu – die Nerven! Kurz, wie wäre es, wenn wir unserer lieben Einsiedlerin noch schnell einen Besuch abstatteten? Dann können Sie sie einmal bei Lichte besehen. Sie werden staunen, das versichere ich Ihnen!«
Der arme Fandorin biß die Zähne zusammen. Jetzt, nach diesen so betont beiläufig dahingesagten Worten, fiel es ihm endgültig wie Schuppen von den Augen.
Großer Gott! Wie kannst Du nur so grausam sein?
Nur darum also Dunkelheit und Schleier, darum dieses elende Wispern!
Und auch Posharskis Verhalten leuchtete ihm augenblicklich ein. Warum wohl hatte der so geduldig gewartet, bis sein Kollege wieder zur Besinnung kam? Genausogut hätte er sich einen anderen Aktionsplan ausdenken können, ohne Beteiligung des Moskauer Sonderbeauftragten. Ohne hernach die Lorbeeren mit ihm teilen zu müssen.
So aber mußte er das gar nicht. Fandorin würde andere Sorgen haben, als Lorbeeren einzustreichen.
Posharski war nicht bloß ein Karrierist. Ruhm und Beförderung genügten ihm nicht. Er brauchte den Triumph über alle und jeden. Immer und unter allen Umständen mußte er der Erste sein. Und nun bot sich ihm die vorzügliche Gelegenheit, einen Mann zu vernichten und in den Schmutz zu treten, den er unweigerlich als Konkurrenten sah.
Dabei konnte man dem Fürsten nicht einmal etwas vorwerfen. Allenfalls übertriebene Grausamkeit, doch die lag nun einmal in seiner Natur.
Der Staatsrat erhob sich fügsam. Bereit, den Kelch der Erniedrigung bis zur bitteren Neige zu leeren.
»Gut, fahren wir.«
Die Haustür der kleinen Villa am Arbat ging wie von selbst vor ihnen auf. Ein diskreter Herr – sehr ähnlich dem, der am Bett im Hotel gewacht hatte – rapportierte mit knapper Verbeugung: »Sitzt bei sich im Kabinett. Die Tür hab ich zugesperrt.Ließ sich einmal zum Klosett führen. Zweimal um Wasser gebeten. Sonst keine Vorkommnisse, bitte sehr.«
»Alles klar. Du kannst ins Hotel zurückfahren, Korshikow. Schlaf dich aus. Seine Hochgeboren und ich kommen zurecht.«
Und der Fürst zwinkerte Fandorin verschwörerisch zu – was in letzterem für einen Moment das unbändige Verlangen auslöste, den Spottvogel mit beiden Händen im Genick zu packen und sämtliche Wirbel zu brechen, die Geist und Körper miteinander verbanden.
»Wohl oder übel werde ich Sie noch einmal neu bekanntmachen müssen. Mit einer vielgerühmten Herzensbrecherin, unübertroffenen Schauspielerin, rätselhaften Schönheit! …«
Schadenfroh lachend lief Posharski ihm voraus die Treppe empor. Schloß die bekannte Tür auf, tat einen Schritt hinein, drehte das Gaslicht an. Der Raum füllte sich mit vibrierendem Licht.
»Was ist, Mademoiselle, wollen Sie uns die kalte Schulter zeigen?« fragte der Fürst mit spöttischer Stimme. Fandorin, auf dem Korridor verharrend, konnte die Angesprochene noch nicht sehen.
Auf einmal aber brüllte der Fürst los.
»Was ist das?! Korshikow, du Hund! Ich bring dich vor Gericht!«
Er stürzte ins Zimmer hinein, wodurch nun auch Fandorin die zierliche Frauengestalt am Fenster erblickte: abgewandt, reglos, den Kopf versonnen zur Seite geneigt. Reglos allerdings nur auf den ersten Blick. Schon auf den zweiten gewahrte man ein leises Pendeln. Und daß die Füße nicht ganz bis zum
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