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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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und Fassade liegen, nicht einmischt, die mystische Aureole der Macht also durch keinerlei Nähe und Zugänglichkeit beschädigen wird. Die praktische, ureigentliche Macht über die Millionenstadt Moskau liegt beim Polizeipräsidenten, und der bin ab heute ich. Da Verleumdungen und Denunziationen von Ihrer Seite nicht zu befürchten sind, erlaube ich mir, Ihnen gegenüber vollkommen offenherzig zu sein.«
    Posharski warf einen Blick auf die ordensgeschmückte Brust seines Gegenübers und setzte eine etwas zerknirschte Miene auf.
    »Vermutlich habe ich Sie gekränkt. Mitunter sticht mich der Hafer, sehen Sie es mir bitte nach. Zwischen uns zweien kam so ein dämlicher, kindischer Konkurrenzkampf auf, ich konnte mir den Spaß nicht verkneifen, Sie ein bißchen vorzuführen. Bitte nochmals um Entschuldigung. Von der gestrigen Depesche Ihres Patrons an den Zaren, worin er Sie zum Polizeipräsidenten zu ernennen bittet, habe ich gewußt. Dolgorukois Sekretär, der stille und bescheidene Innokenti Andrejewitsch, hat seit längerem gespürt, wohin der Wind sich dreht, und sich für unsere Fraktion als wahrhaft unersetzlicher Helfer verdient gemacht. Aber mein Telegramm lag eine halbe Stunde früher auf des Zaren Tisch. Glaubten Sie wirklich, ich hätte mich nach unserem Rendezvous im Brjussow-Park schlafen gelegt?«
    »D-darüber habe ich nicht nachgedacht«, brach Fandorin mit einer trockenen Auskunft sein Schweigen.
    »Ich sehe schon, ich habe Sie getroffen«, konstatierte Posharski. »Tut mir leid, tut mir wirklich leid. Ich wünschte, Sie könnten diesen Dummejungenstreich vergessen. Es geht jetzt um Ihre Zukunft. Ihre außerordentlichen Qualitäten habe ich zu schätzen gelernt. Sie verfügen über sehr viel Scharfsinn, Entschlossenheit, Wagemut; am allermeisten aber beeindruckt mich Ihr Talent, aus jedem Feuer unversehrt, ohne eine versengte Feder hervorzugehen. Ich bin selbst ein Glückskind, und für Leute, die vom Schicksal gehätschelt werden, habe ich ein besonderes Näschen. Lassen Sie uns doch gleich einmal prüfen, wer von uns beiden den helleren Stern hat?«
    Mit diesen Worten zog er ein kleines französisches Kartenspiel aus der Tasche und hielt es dem Staatsrat hin.
    »Raten Sie, was für eine Karte obenauf liegt, eine schwarze oder eine rote?«
    »Legen Sie das Spiel w-wenigstens auf den Tisch«, sagte Fandorin achselzuckend. »Zuviel Vertrauen hätte mich in diesem Spiel schon einmal beinahe das Leben gekostet.«
    Der Fürst schien nicht gekränkt, im Gegenteil, sein Lachen klang zustimmend.
    »Sie haben recht. Fortuna ist mächtig, doch man muß sie nicht unnötig in die Enge treiben. Also?«
    »Schwarz«, sagte Fandorin, ohne zu zögern.
    »Richtig«, sagte Posharski nach kurzem Besinnen.
    Die oberste Karte war eine Pik Sieben.
    »Die n-n-… nächste ist wieder schwarz.«
    »Einverstanden.«
    Es war ein Kreuz As.
    »Und noch mal schwarz«, sagte Fandorin in geduldigem Ton, so als spielte er einem Kind zuliebe ein Spiel, das ihn langweilte.
    »Dreimal hintereinander, das ist unwahrscheinlich«, sagte der Fürst. »Nein, wohl eher rot.«
    Er deckte eine Kreuz Dame auf.
    »Das dachte ich mir«, seufzte Posharski. »Sie haben ein unverschämtes Glück. Einen solchen Bündnispartner zu verlieren täte mir wirklich leid. Wissen Sie, anfangs hielt ich Sie für jemanden, der mir zwar nützlich, aber auch sehr gefährlich werden könnte. Inzwischen weiß ich, daß von Ihnen keine Gefahr droht. Denn bei all ihren glänzenden Eigenschaften haben Sie doch einen gravierenden Mangel: Sie sind vollkommen unfähig, sich zu verbiegen. Form und Farbe zuwechseln, den Gegebenheiten anzupassen. Sie sind nicht in der Lage, vom vorgefaßten Weg abzuweichen und einen Schlängelpfad zu nehmen. Um dann womöglich von hinten zu kommen und einem das Messer in den Rücken zu stoßen. Ich vermute, diese Kunst werden Sie auch nicht mehr erlernen, was mir nur recht sein kann. In Sachen Flexibilität aber, denke ich, könnte ich Sie noch einiges lehren. Hören Sie, ich biete Ihnen ein Bündnis an. Gemeinsam könnten wir Berge versetzen. Ich habe noch keinen konkreten Posten für Sie im Auge, darüber werden wir uns einig. Vorerst bräuchte ich nur ihr prinzipielles Einverständnis.«
    Der Staatsrat schwieg. Posharski zeigte sein entwaffnendes Lächeln.
    »Gut, es eilt ja nicht. Betreiben wir erst einmal ein bißchen vorsichtige Annäherung. Ich lehre Sie Biegsamkeit und Sie mich die Fähigkeit, Farben vorauszusehen. Sagt Ihnen das

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