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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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als alle, die ich kenne. Ich fürchte nur, daß er nicht lieben kann. Und außerdem fürchte ich immerzu um sein Leben …«
    Mehr wünschte Fandorin nicht zu hören.
    »Wozu haben Sie mich hierher geführt?« zischte er Frol Wedischtschew wütend an und verließ im Eilschritt den kleinen Flur.
    Zurück im Vorzimmer, schrieb der Staatsrat, die Feder so derb aufdrückend, daß es spritzte, dem Generalgouverneur eine neue Mitteilung, die sich in Ton und Inhalt gehörig von der vorangegangenen unterschied. Er kam jedoch nicht mehrdazu, sie dem Sekretär zu übergeben, denn die weiße Tür ging weit auf, und er vernahm die Stimme Seiner Erlaucht: »Geh jetzt, Kind, geh mit Gott. Und denk an meinen Rat.«
    »Guten Tag, Fräulein Litwinowa«, sagte der Staatsrat mit artiger Verbeugung zu der ins Vorzimmer tretenden schönen Dame.
    Die maß ihn mit einem Blick, der nur verächtlich zu nennen war. Geradezu unvorstellbar, daß dieses arrogante Persönchen eben noch schluchzend vor dem Fürsten gehockt hatte wie ein Häuflein Unglück, wie ein Erstklässler, dem man sein Tütchen Eis weggenommen hat. Nur daß die Augen, verräterisch feucht, noch schärfer blitzten als sonst. Und die Königin von Saba schritt von dannen, ohne Fandorin einer Antwort zu würdigen.
    »Ach ja!« seufzte Fürst Dolgorukoi, ihr hinterher sehend. »Wo sind sie hin, die fünfundsechzig Jährchen … Treten Sie ein, mein Bester. Entschuldigen Sie, daß ich Sie warten ließ.«
    In stillem Einvernehmen verloren sie über die Besucherin kein Wort, sondern kamen gleich zur Sache.
    »Leider verhinderten es die Umstände, daß ich früher bei Euer Erlaucht hätte vorsprechen und Bericht erstatten können«, begann Fandorin in offiziellem Ton, doch der Generalgouverneur nahm ihn beim Arm, schob ihn in den gegenüberstehenden Sessel.
    »Ich weiß über alles Bescheid«, sagte er gutmütig. »Frol hat seine Günstlinge bei den Geheimen und anderswo. So erfuhr ich regelmäßig von Ihren neuesten Abenteuern. Auch über das Scharmützel von heute morgen bin ich ausführlich informiert – eine Meldung von Kollegienassessor Mylnikow liegt vor, ausführlich bis ins kleinste Detail. Er ist ein wackerer Mann und möchte liebend gern auf Burljajews Postennachrücken. Warum auch nicht, man könnte beim Ministerium ein Wörtchen für ihn einlegen. Ich habe schon eine kleine Depesche, das heutige Bravourstück betreffend, an Seine Majestät durchgegeben – bevor euer kleiner Fürst es tut. Entscheidend ist immer, wer als erster damit kommt. Ihren tapferen Einsatz habe ich übrigens in den leuchtendsten Farben geschildert.«
    »M-meinen ergebensten Dank«, erwiderte Fandorin einigermaßen verlegen, »aber es gibt nichts, womit wir uns sonderlich brüsten könnten. D-der Hauptverbrecher ist entkommen und untergetaucht.«
    »Einer durch die Lappen gegangen, sechs unschädlich gemacht. Die Bilanz kann sich doch sehen lassen, mein Lieber. Die politische Polizei hatte dergleichen seit langem nicht mehr vorzuweisen. Und was nicht unwichtig ist: Dieser Erfolg wurde in Moskau errungen, wenn auch die Hauptstadt ihren Beitrag geleistet hat. Seine Majestät wird meiner Depesche entnehmen können, daß die sechs getöteten Terroristen auf unser Konto gehen, während der siebte nur deswegen entkam, weil Posharski geschlafen hat. Ich weiß, wie man Depeschen verfaßt. Schippere sozusagen seit fünfzig Jahren übers Tintenmeer. Der Herr wird uns gewogen sein.« Dabei wies sein runzliger Zeigefinger Richtung Decke, wodurch nicht klarer wurde, welchen Herrn er meinte, den Einen oder den anderen. »Vielleicht geht ihm ja doch ein Licht auf, daß man Dolgorukoi noch längst nicht zum alten Eisen werfen sollte. Da hätte man sich gehörig verrechnet! Ihre steckengebliebene Bewerbung um den Polizeipräsidentenposten habe ich in der Depesche übrigens auch erwähnt. Wollen doch mal sehen, wer die Oberhand behält …«
     
    Erast Fandorin verließ die Residenz des Generalgouverneurs in tiefer Nachdenklichkeit. Beim Überziehen der Handschuhe blieb er vor einer Anschlagsäule stehen und las gedankenverloren eine in Riesenlettern gesetzte Ankündigung:
     
    EIN WUNDER DER AMERIKANISCHEN TECHNIK!
    Erleben Sie im Polytechnischen Museum die Funktionsweise des neuesten Edisonschen Phonografen! Herr Repman, Leitender Kustos der Abteilung Angewandte Physik, wird ein Experiment zur Tonaufzeichnung veranstalten und hierfür eine Arie aus der Oper »Ein Leben für den Zaren« zum Vortrag bringen.

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