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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Nein, Grin, warte, blitze nicht gleich mit den Augen: Das mußte ich tun, damit sie mir glauben. Woher sollte ich wissen, ob sie nicht schon irgendwelche Informationen hatten. Dann hätten sie gleich gewußt, daß ich lüge. Und ich wäre fällig gewesen. So aber hat Posharski in sein Notizbuch geguckt und genickt und war zufrieden.
    Ich bin der Polizei auf den Knien entronnen, ein willfähriger Diener, ein ›Mitarbeiter‹, Deckname: Gwidon. Hundertfünfzig Rubel haben sie mir ausgezahlt, das erste Gehalt. Zu tun hab ich dafür erst mal nicht viel: rauskriegen, wo du steckst, und den beiden, Posharski und Fandorin, die Nachricht zukommen lassen. Natürlich haben sie mir ein paar Spitzel angehängt. Die war ich schon in der Chitrowka wieder los. Dort taucht man leicht unter, wie du weißt.
    Das ist meine ganze Odyssee. Jetzt kannst du entscheiden, was mit mir werden soll. Du kannst mich totschlagen und vergraben, wenn du möchtest, ich werd kein Spektakel machen. Die beiden dort drüben sollen mich auf den Hof schaffen und abstechen. Oder, wenn du möchtest, sagt Rachmet der Welt genauso schön adieu, wie er in ihr gelebt hat. Ich binde mir eine Bombe um den Bauch, spaziere damit zur Geheimpolizei und sprenge die Bude mitsamt den Posharskis, Fandorins und Burljajews in die Luft. Willst du?
    Aber eines solltest du bedenken: Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, daß sie mich zum Gwidon gemacht haben? Daraus ließe sich so mancher Vorteil ziehen …
    Entscheide du. Dein Kopf ist größer als meiner. Mir ist esschon egal, ob ich die Erde von unten oder von oben begucke.«
     
    Eines war klar: So benahm sich kein Angeworbener. Rachmets Blick war kühn und gerade, beinahe provokant. Das Kornblumenblau war unverändert, um keinen Deut tintiger geworden. Und ließ sich überhaupt denken, daß Rachmet an einem einzigen Tag hätte umfallen können? Schon aus bloßer Dickschädeligkeit wäre er so schnell nicht eingeknickt.
    Ein Risiko war dabei. Doch immer noch besser, auf einen Verräter hereinzufallen, als einen Genossen zu verstoßen. Es ist zwar gefährlich, zahlt sich am Ende aber aus. Mit Parteifunktionären, die in diesem Punkt anderer Meinung waren, hatte Grin sich immer angelegt.
    Er stand auf und sagte: »Gehen wir. Es gibt viel Arbeit.«
    Und das war das erste, was er überhaupt sagte.

FÜNFTES KAPITEL,
    in welchem Fandorin unter gekränkter Eigenliebe leidet
    Esfir Litwinowas Erwachen in dem Haus an der Malaja Nikitskaja kam einem Albtraum nahe. Ein leises Rascheln hatte sie geweckt. Zunächst sah sie nur das halbdunkle Schlafzimmer (durch die vorgezogene Gardine sickerte spärliches Morgenlicht herein), sah neben sich den unerhört schönen dunkelhaarigen Mann, die Brauen im Schlaf schmerzvoll erhoben, und im ersten Moment war ihr nach Lächeln zumute. Dann aber sah sie in den Augenwinkeln etwas heranhuschen, wandte den Kopf und kreischte auf vor Schreck.
    Dem Bett näherte sich, auf Zehenspitzen hüpfend, ein garstiges, ein grausiges Geschöpf: das Gesicht rund wie ein Honigmond, die Augen klein und schmal wie bei einem wilden Krieger – und obendrein im weißen Leichengewand.
    Von dem Kreischen hielt das Wesen augenblicklich inne und knickte ein.
    »Gutzen Molegen!« sprach es, als es sich wieder aufgerichtet hatte.
    »Hu-hua!« antwortete Esfir mit vor Erschütterung bebender Stimme und drehte sich nach Fandorin um, der aufwachen sollte, nein, von dem sie geweckt werden wollte, damit diese Fata Morgana verging.
    Doch es zeigte sich, daß Erast Fandorin bereits wach war.
    »Hei, Masa. Ich komme«, sagte er, und an sie ge1esternabend hat er sich diskret verkrümelt, so daß Sie ihn nicht sehen konnten. Jetzt ist er gekommen, weil wir morgens immer g-g-… gemeinsam Gymnastik machen, und es ist spät, um elf schon. Die Gymnastik dauert fünfundvierzig Minuten … Ich stehe jetzt auf!« kündigte er an, wohl in der Annahme, Esfir würde sich taktvoll umdrehen.
    Aber da konnte er lange warten.
    Ganz im Gegenteil: Esfir hob sogar den Kopf, legte die Wange auf den aufgestützten Arm, damit sie auch ja alles gut sah.
    Der Staatsrat zögerte kurz, bevor er unter der Decke hervorsprang und geschwinde in eine ebensolche Tracht schlüpfte, wie der Kammerdiener sie trug.
    Zugegeben, bei nüchterner Betrachtung hatte sie wenig von einem Leichengewand an sich: Es handelte sich um Jacke und Hose, beide weit und weiß, etwas wie Unterkleider, nur aus festerem Stoff und ohne Bändchen an den Beinen.
    Herr und Diener

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