Tote im Salonwagen
kühlen Nicken und wandte sich ab.
»Einfach atemberaubend!« schloß Swertschinski unterwegs seinen aufgeregten Bericht. »Von der gestrigen Festnahme mit Ihrer Beteiligung habe ich gehört. Gratuliere! Aber daß Posharski persönlich aus Petersburg anreist, und das schon mit dem Zwölfuhrzug! Der Vizedirektor des Departements, bei dem alle Fäden der politischen Fahndung zusammenlaufen! Ein wichtiger Mann, mit Perspektive. Zum Flügeladjutanten befördert. Der hat das Telegramm aus unserem Hause bekommen und sich sofort auf den Weg gemacht. Daran können Sie sehen, welche Bedeutung unseren Ermittlungen in höchsten Kreisen beigemessen wird!«
»Woher w-wissen Sie denn, daß er angereist ist?«
»Wie sollte ich nicht?« fragte Swertschinski gekränkt zurück. »Ich habe zwanzig Posten auf jedem Bahnhof stehen. Und glauben Sie, die kennen Posharski nicht? Es wurde genau registriert, wie er eine Kutsche nahm und zum Gnesdnikowski zu fahren befahl. Der will Ihnen die Lorbeeren klauen, keine Frage. Wenn einer es so eilig hat!«
Fandorin schüttelte skeptisch den Kopf. Erstens hatte er schon ganz andere hauptstädtische Prominenz zu Gesicht bekommen, und zweitens würde es, dem gestrigen Benehmen des Delinquenten nach zu urteilen, dem Flügeladjutanten kaum beschieden sein, leichte Lorbeeren einzuheimsen.
Die Malaja Nikitskaja lag um einiges näher zum Bolschoi Gnesdnikowski als der Nikolaus-Bahnhof, darum langten sie noch vor dem hohen Gast in der geheimpolizeilichen Behörde an. Es zeigte sich, daß Oberstleutnant Burljajew von der Ankunft des hohen Gastes noch nichts wußte, auch ihm hatten sie somit ein Schnippchen geschlagen.
Kaum aber saßen sie zu fünft – Fandorin, Burljajew, Swertschinski, Subzow und Smoljaninow – beisammen, um ihr weiteres Vorgehen abzustimmen, da traf der Petersburger Vizedirektor auch schon ein.
Es erschien ein großer, schlanker, ausgesprochen jugendlich wirkender Mann in Lammfellmütze, Paletot, mit einer hellbraunen Aktenmappe in der Hand. Was jedoch vor allem den Blick in den Bann zog, die Augen gar nicht wieder loslassen wollte, war sein Gesicht. Der schmale, wie gepreßt wirkende Schädel, die Habichtsnase, das fliehende Kinn, das fahlblonde Haar, die flinken schwarzen Augen, dieses nicht sehr schöne, nein, eigentlich häßliche Antlitz hatte eine seltsame Wirkung: Es rief zunächst Abneigung hervor und gewann bei näherer Betrachtung immer mehr.
Und betrachtet wurde der Neuankömmling ausgiebig. Swertschinski, Burljajew, Smoljaninow und Subzow waren aufgesprungen, die letzteren beiden sogar in Habtachtstellung. Nur Fandorin als der Ranghöchste blieb sitzen.
Der Mann mit dem interessanten Gesicht war kurz in der Tür stehengeblieben, um seinerseits die Moskauer Runde in Augenschein zu nehmen. Er ließ einen Moment vergehen, dann posaunte er feierlich: »Soeben in besonderer Mission aus Petersburg eingetroffen, fordert der Revisor, daß Sie unverzüglich bei ihm erscheinen.« Und auflachend fügte er in verändertem Ton hinzu: »Besser gesagt, hier bin ich selberund fordere nur eines – einen kräftigen Kaffee. Wissen Sie, meine Herren, in der Eisenbahn finde ich absolut keinen Schlaf. Von der Rüttelei im Waggon wabert einem das Hirn, und das Denken läßt sich nicht abschalten. Ah, Sie sind natürlich Herr Fandorin …« Der Gast tat vor dem Staatsrat eine knappe Verbeugung. »Der vielgerühmte. Freut mich, daß wir einmal zusammenarbeiten. Sie sind Swertschinski und Sie Burljajew, nicht wahr. Und Sie?« Er blickte Smoljaninow und Subzow fragend an.
Die beiden stellten sich vor, bei letzterem horchte der Gast auf.
»Sergej Subzow? Der Name sagt mir natürlich etwas. Ich habe Ihre Sachberichte gelesen. Sehr tüchtig.«
Subzow errötete zart.
»Die Aufmerksamkeit, die Ihre Agenten am Bahnhof meiner Person zukommen ließen, sagt mir, daß ich schon identifiziert bin. Nichtsdestotrotz: Ich bin Posharski, Gleb Georgijewitsch, bitte mich in Ihr Herz zu schließen. In unserer Sippe heißen die ältesten Söhne seit drei Jahrhunderten Gleb und Georgi – zu Ehren unserer gestandenen Schutzpatrone, des Fürsten von Murom und des Drachentöters. Wenn das keine Tradition ist … Zur Sache. Der Herr Minister hat mich persönlich mit der Leitung der Untersuchungen im Mordfall Generaladjutant Chrapow beauftragt. Man erwartet von uns schnellstmögliche Ergebnisse, meine Herren. Wir haben uns dafür gehörig ins Zeug zu legen – und insbesondere Sie hier in Moskau.« Die
Weitere Kostenlose Bücher