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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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verließen den Raum, und kurze Zeit später erscholl von nebenan (wo anscheinend der Salon war) ein schreckliches Getöse. Esfir sprang auf, blickte um sich, fand jedoch nichts, was sie auf die Schnelle hätte überziehen können. Fandorins Kleider lagen akkurat auf einem Stuhl, während die ihr gehörenden Kleidungsstücke und Accessoires kreuz und quer auf dem Boden verstreut waren. Ein Korsett trug sie als moderne junge Frau zwar nicht, doch auch das übrige Geschirr – Mieder, Schlüpfer, Strümpfe – anzulegen hätte zu lange gedauert, sie brannte darauf zu sehen, was die beiden nebenan trieben.
    So öffnete sie den wuchtigen Kleiderschrank, wühlte darin und zog einen Herrenkittel mit Samtbesatz und Quasten hervor. Er paßte ihr beinahe hervorragend, schleifte nur ganz wenig auf dem Boden.
    Esfir warf einen Blick in den Spiegel und fuhr mit der Hand durch ihr kurzes schwarzes Haar. Sie sah gar nicht übel aus – eigentlich erstaunlich, wenn man bedachte, wie wenig sie zum Schlafen gekommen war. So eine Kurzhaarfrisur war eine feine Sache. Nicht bloß, daß sie progressiv war, sie erleichterte das Leben beträchtlich.
    Was sich im Salon (Esfir hatte die Tür einen Spalt geöffnet, sich lautlos hineingestohlen, stand jetzt Rücken zur Wand) abspielte, war die Höhe: Fandorin und der Japaner keilten sich mit den Füßen, stießen wilde Schreie aus, wirbelten pfeifend durch die Luft. Eben hatte der Hausherr dem Kurzen einen saftigen Tritt vor die Brust gegeben, so daß es den Ärmsten gegen die Wand schleuderte, doch davon schwanden ihm nicht die Sinne, nein, mit martialischem Gebrüll warf er sich erneut auf seinen Beleidiger.
    Fandorin rief etwas Unverständliches, die Keilerei hörte auf. Nun legte sich der Kammerdiener auf den Boden, der Staatsrat packte ihn mit einer Hand am Gürtel, mit der anderen am Kragen, hob ihn dem Anschein nach mühelos bis in Brusthöhe, bevor er ihn wieder absenkte, und dies immer so fort. Der Japaner hing zahm und friedlich in der Schwebe, steif wie ein Stock.
    »Nicht bloß ein Zarenbüttel, auch noch plemplem!« kommentierte Esfir den Anblick vernehmlich und verließ den Salon, um sich ihrer Morgentoilette zu widmen.
    Beim Frühstück gab sie die nötige Erklärung ab, zu der es in der Nacht an Zeit gefehlt hatte.
    »Was geschehen ist, ändert nichts an der Sache«, verkündete Esfir streng. »Ich bin nicht aus Holz, und du bist nicht ganz unattraktiv. Trotzdem sind wir auf zwei verschiedenen Seiten der Barrikade. Ich riskiere meinen Ruf damit, mich mitdir eingelassen zu haben, nur daß du es weißt. Wenn meine Bekannten davon erfahren …«
    »Vielleicht m-müssen sie das ja nicht unbedingt?« fiel Fandorin ihr vorsichtig ins Wort, ein Stück Omelett aufgespießt vor dem Mund. »Es ist doch Ihre Privatangelegenheit.«
    »Das fehlte noch! Mich heimlich mit einem Zarenbüttel zu treffen! Kommt so weit, daß man mich für eine Zuträgerin hält! Und wage ja nicht noch einmal, mich zu siezen!«
    »Gut«, lenkte Fandorin bereitwillig ein. »Das mit der Barrikade habe ich verstanden. Aber schießen wirst du doch hoffentlich nicht mehr auf mich?«
    Esfir war dabei, ihr Brötchen mit Marmelade zu bestreichen (vorzüglicher Himbeermarmelade von Saunders), sie konnte ihren Appetit heute nicht bremsen.
    »Das werden wir sehen.« Und mit vollem Mund fuhr sie fort: »Ich komme her. Laß du dich ja nicht bei mir blicken. Du verschreckst mir bloß alle meine Freunde. Und nicht daß sich Mama und Papa am Ende noch einbilden, ich hätte einen passablen Bräutigam aufgegabelt.«
    Die Positionen restlos zu klären war leider nicht mehr möglich, denn in diesem Moment schellte das Telefon. Fandorin lauschte dem unsichtbaren Gesprächspartner, legte die Stirn besorgt in Falten.
    »Ist gut, Oberst. Fahren Sie in fünf Minuten vor. Ich bin b-bereit.«
    Er müsse leider in dringender Angelegenheit weg, sagte Fandorin und empfahl sich, um seinen Mantel zu holen.
    Fünf Minuten später hielt ein Schlitten mit zwei Blaumänteln vor dem Tor. (Esfir sah es durch das Fenster.) Der eine blieb sitzen, der andere, ein schlanker junger Mann, näherte sich, die Hand am Degen, eilig dem Seitenflügel.
    Als Esfir auf den Korridor hinauslugte, stand der junge Gendarm neben Fandorin, der schon im Mantel war. Das niedliche Offizierchen – die Wangen rot vom Frost, die Schnurrbartenden lächerlich gezwirbelt – tat eine artige Verbeugung, sein Blick brannte vor Neugierde. Esfir verabschiedete Fandorin mit einem

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