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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Dogmen hinwegsetzt. Gras wächst durch Asphalt, Wasser durchstößt den Felsen, und eine Frau vermag noch das härteste Herz zu erweichen. Diese besonders.
    Es war ein Fehler gewesen, Julie in die Revolution hineinzuziehen. Liebchen wie sie, vor Lebenslust strotzend, zu seliger Selbstvergessenheit anstiftend, waren nichts für die Kreuzritter der Revolution. An ihre Seite gehörten stahlgraue Amazonen. Wie Nadel eine war.
    Sie hätte in diese Runde gehört und nicht Julie, die die Männer nur von der Arbeit ablenkte mit ihrem bunten Gefieder. Doch die gekränkte Nadel hatte ihre Leute hergeführt und war wieder gegangen, ohne auf Grin zu warten. Auchhier hatte er einen Fehler gemacht, war mit ihr am Telefon zu rüde umgesprungen.
    »Na? Was zieht ihr so gequälte Gesichter?« fragte Joker grinsend, während er sich den Kohlestaub von den Händen an die schwarzen Hosen aus feiner englischer Schurwolle wischte. »Nur keine Manschetten, ihr Revolutionäre! Ein Überfall ist ein Freudenfest, Sauertöpfe sind nicht zugelassen. Wer wagt, gewinnt! Und wer ein Kügelchen Blei zu schlucken kriegt, na, den hat es halt erwischt, Schicksal. Jung zu sterben ist eine Wohltat. Nur Alte und Kranke fürchten den Tod. Für unsereins ist er ein Labsal, ein Gläschen Branntwein an einem frostigen Wintertag: Am schönsten wird es, wenn das Brennen langsam nachläßt … Und sowieso habt ihr jungen Füchse weiter gar nichts zu tun, die Hauptsache besorgen Grin und ich. Anschließend machen wir es so« – mit diesen Worten wandte er sich nun direkt an Grin –, »daß wir den Schmott in den Schlitten werfen und in die Herberge Indija düsen, wo Julietta auf uns wartet. Dort wird geschachert, der reinste Basar, da fällst du mit den Säcken nicht auf. Während ich das Pferd auf Trab bringe, zerrst du ein Sackleinen über die fiskalischen Plomben, damit keiner merkt, daß wir statt Lorbeerblättern sechshunderttausend Eier durch die Botanik ziehen. Wenn wir im Hotel sind, geht’s ans Teilen. Zweihundert für mich, vierhundert für euch, wie’s gesagt war. Und dann adieu und auf Wiedersehen – nicht so bald, nehm ich an. Hübsches Sümmchen, mit dem sich Joker eine Weile zur Ruhe setzen kann!« Er zwinkerte Julie zu. »Wir fahren nach Warschau, von da nach Paris, und anschließend, wohin du willst.«
    Julie schenkte erst ihm ein zärtliches Lächeln und dann Grin. Es war verblüffend: In ihrem Blick war nicht die Spur von Reue oder Verlegenheit zu erkennen.
    »Ihr könnt jetzt gehen«, sagte Grin und erhob sich. »Nacheinander. Zuerst Joker und Julie. Dann Splint und Marat. Dann Schwarz, Biber und Nobel.«
    Er begleitete die Männer auf den Flur und gab letzte Anweisungen. Dabei bemühte er sich, deutlich zu sprechen, die Worte nicht zu verschlucken.
    »Die Bohle um zehn vor hinwerfen. Nicht später, aber auch nicht früher, damit die Hausmeister sie nicht noch wegräumen … Beim Schießen nicht aus der Deckung gehen. Arm raushalten und abdrücken. Wichtig ist nicht, ob ihr sie trefft, sondern daß ihr sie verblüfft und ablenkt … Und daß mir keiner von euch eine Kugel fängt! Verwundete wegzutragen hat niemand Zeit. Dalassen geht auch nicht. Wer verletzt ist und nicht weglaufen kann, erschießt sich. Rachmet und Jemelja übernehmen das Kommando.«
    Als die drei letzten gegangen waren, schloß Grin die Tür ab und wollte eben ins Kabinett zurückkehren, als er aus der Tasche seines am Haken hängenden schwarzen Mantels etwas Weißes hervorlugen sah. Was es war, wußte er sofort.
    Grin erstarrte. Befahl seinem Herzen, weiterzuschlagen wie zuvor. Zog den Zettel hervor, hielt ihn sich nahe vor die Augen (im Flur war es düster) und las.
     
    Die Stadt ist von Gendarmen abgeriegelt. Meiden Sie Bahnhöfe und Stadttore. Die Blockade befehligt Oberst Swertschinski. Anzutreffen heute nacht auf dem Nikolaus-Bahnhof im Dienstraum der Aufsicht. Nutzen Sie die Gelegenheit zum Entlastungsstoß. Und das Wichtigste: Hüten Sie sich vor Rachmet, er ist ein Verräter. T.G.
     
    Grin sah sofort, daß die Notiz auf einer Remington geschrieben war, nicht wie bisher auf einer Underwood. Er rieb sich das Gesicht, um das Hirn anzutreiben.
    »Grin, wo bleibst du so lange?« ertönte Jemeljas Stimme. »Komm doch mal!«
    »Komme gleich!« erwiderte er. »Muß erst noch aufs Klo.«
    Im Kämmerchen mit dem Wasserklosett arbeitete er, gegen den Marmorsockel gelehnt, die Punkte ab, die neu zu bedenken waren – beim weniger Wichtigen beginnend.
    Woher kam der

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