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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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entfachte sie einen Wirbel wie eine afrikanische Windhose: betörte einen mit Parfümdüften, ließ eine Million sich überstürzender Wörter auf einen niederprasseln, forderte, höhnte, bettelte, drohte, und in ihren wilden blauen Augen blitzten die Fünkchen der Raserei. Auf einer Ausstellung in Paris hatte Grin das Porträt irgendeiner Aktrice gesehen, gemalt von dem in Mode gekommenen Maler Renoir. Als hätte Julie Modell gesessen – dasselbe Gesicht.
    Grin hätte es besser gefunden, der Sache dienlicher, wenn der Joker allein angereist wäre. Er freute sich trotzdem. Doch weil diese Freude nicht am Platz war, hob er die Brauen und sagte strenger als nötig: »Das war unbedacht. Bitte seien Sie wenigstens nicht hinderlich.«
    »War ich das jemals!« sagte sie schmollend. »Ich verhalte mich wie ein Mäuschen so still. Sie werden mich gar nicht sehen und hören. Wohin fahren wir jetzt? Ins Quartier, ins Hotel? Ich muß dringend ein Bad nehmen und mich in Ordnung bringen. Ich sehe sicher scheußlich aus.«
    Das traf nun überhaupt nicht zu, und sie wußte es genau, darum wandte Grin sich einfach ab und winkte ein Fuhrwerk heran.
    »Zum Hotel Bristol.«
     
    »Warum soll das nicht gehen? Natürlich geht es. Von mir aus gleich heute. Wenn ihr ein Dutzend gute Leute auftreiben könnt …«, versetzte der Joker träge, während er sich die manikürten Fingernägel polierte. Diese Blasiertheit galt unter Banditen offenbar als todschick.
    »Heute?« fragte Grin ungläubig zurück. »Sind Sie sicher?«
    Der Experte zuckte gleichmütig die Schultern.
    »Ein Joker redet kein Blech. Halbe Million Kasse, mindestens.«
    »Wo und wie?«
    Der Berufsräuber lächelte, und plötzlich konnte Grin verstehen, was Julie an dem kleinen Gecken fand: Von diesem breiten Lächeln, den blitzenden Zähnen bekam das braungebrannte Gesicht etwas jungenhaft Übermütiges, Verwegenes.
    »Wo, sag ich euch später. Wie, sowieso. Erst muß ich vor Ort bißchen schnüffeln. Ich hab in Moskau zwei fette Dinger aufgetan: das Rentamt des Militärbezirks und die Staatliche Wertpapier-Expedition. Wir können wählen. Beide sind gut in den Griff zu kriegen, es sei denn, einer kann kein Blut sehen. Die Wachtrupps sind üppig. Ansonsten kein Problem.«
    »Geht’s nicht ohne Gewalt?« fragte Julie. Sie trug bereits einen purpurroten Seidenkittel, hatte das Haar gelöst, bis ins Badezimmer war sie aber noch nicht vorgedrungen. Das Zimmer, das für Joker reserviert gewesen war, hatte ihr nicht zugesagt – sie ließ die Koffer aus dem Schlitten gleich in die Beletage tragen, wo die Luxusappartements lagen. Das war ihre Sache. Was die Leute am Luxus fanden, konnte Grin zwar nicht nachvollziehen, verhielt sich gegenüber dieser Schwäche jedoch vorurteilslos.
    »Ohne Gewalt kannst du Äpfel klauen und weiter nichts«,sagte Joker verächtlich und stand auf. »Ein Drittel Anteil für mich. Wir ziehen die Sache heute abend durch. Falls es das Rentamt wird, um halb sechs. Falls heute aus der Expedition ein Geldtransport abgeht, um fünf. Sag deinen Leuten, sie sollen sich im Quartier bereithalten. Bomben und Revolver mitbringen. Und einen Schlitten, einen leichten, amerikanischen. Die Kufen mit Speck einschmieren. Und ein schnelles Pferd, versteht sich. Erwarten Sie mich hier. In circa drei Stunden bin ich zurück.«
    Als Joker weg war und Julie im Bad verschwunden, drehte Grin die Wählscheibe des Eriksson-Wandtelefons und bat die Hotel-Telefonistin, ihn mit dem Anschluß 38-34 zu verbinden. Nach dem überstürzten Auszug aus der Ostoshenka hatte er Nadel nun doch genötigt, ihre Nummer herauszugeben, da der Kontakt über den toten Briefkasten für die jetzige Situation viel zu umständlich war.
    »Ich bin’s«, sagte er, als er die weibliche Stimme im Trichter vernahm.
    »Guten Tag, Herr Sievers«, antwortete Nadel mit der vereinbarten Parole.
    »Die Lieferung erfolgt heute. Eine große Charge. Ich benötige alle Ihre Arbeiter. Sie sollen unverzüglich ins Kontor kommen und dort warten. Werkzeug mitbringen, den kompletten Satz. Und außerdem brauchen wir einen Schlitten. Leicht und schnell.«
    »Ich habe verstanden. Wird sofort in die Wege geleitet.« Nadels Stimme bebte vor Aufregung. »Herr Sievers, ich wollte Sie bitten … Vielleicht sollte auch ich dabeisein? Ich könnte mich nützlich machen.«
    Grin schwieg und sah mißmutig zum Fenster hinaus. Die Zurückweisung durfte nicht beleidigend klingen.
    »Ich glaube, das ist nicht nötig«, sagte er

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