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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Brief? Seit wann hatte er ihn? Am Bahnhof war Grin nicht im Mantel gewesen, sondern in Rachmets Halbpelz, da dieser geeignetere Taschen für die Bombe hatte, die Grin zur Sicherheit dabei haben wollte. Sein Mantel hatte den ganzen Tag am Haken gehangen. Der Kreis der in Frage Kommenden verengte sich weiter: Alle, die derzeit in Petersburg waren, konnte man ausschließen. Nichtreisende Moskauer ebenso. Dies freilich nur, wenn T. G. tatsächlich ein einzelner war, nicht zwei oder mehrere. Das G konnte genausogut für »Gruppe« stehen. Terrorgruppe? Nein, Blödsinn. Aber darüber durfte man später nachdenken.
    Swertschinski. Wäre da nicht der Überfall gewesen – prima Idee! Einen hochrangigen Gendarmen hinrichten und damit zugleich die Rückendeckung des Gegners schwächen. Entlastungsstoß war der richtige Ausdruck. Denn das Geld sicher aus Moskau herauszutragen war wichtiger, als die eigene Haut zu retten. Und es gab keine Zeit zu verlieren. Doch würde die Kraft für zwei Aktionen ausreichen? Das wußte man besser, wenn der Überfall gelaufen war.
    Nun kam er zum Schwierigsten – dem, was auf dem Zettel blau unterstrichen war.
    Rachmet: ein Verräter? Konnte das sein?
    Ja, mußte Grin sich sagen. Es konnte sein.
    So ließe sich das Herausfordernde, Auftrumpfende in Rachmets Blick erklären: Er war nicht einfach von den Gendarmen geknackt, er war »umgedreht« worden. Eroberte eine neue Rolle: Mephistopheles, Wanka Kain 1 oder was immer er sich einbildete.
    Wenn nun aber die Behauptung des T. G. eine Ente war? Zwar hatte er sie bislang kein einziges Mal in die Irre geführt, doch hier ging es um das Leben eines Genossen.
    Rachmet hatte das Quartier seit gestern nicht verlassen, dafür hatte Grin gesorgt. Heute hatte er Jemelja angewiesen, ein Auge auf den Ex-Ulanen zu haben – was ihn nach seiner nächtlichen Eskapade nicht wundern mußte.
    Grins Plan war eigentlich gewesen, Rachmet beim Überfall die riskanteste Aufgabe zu übertragen. Wo ließ sich Redlichkeit besser unter Beweis stellen als in der Praxis?
    Doch jetzt wußte er, daß Rachmet an der Aktion nicht beteiligt sein durfte.
    Als der Entschluß gefaßt war, betätigte Grin das kupferne Pedal der Wasserspülung – die neueste hygienetechnische Errungenschaft – und verließ die Toilette.
    Rachmet, Jemelja, Stieglitz und Arseni, der Sohn des abwesenden Hausherrn, standen vor dem kohlebekritzelten Plan.
    »Da bist du ja endlich!« sagte Stieglitz, und seine Augen blitzten vor Erregung. »Wir fragen uns gerade, ob ihr zwei, der Joker und du, alleine zurechtkommen werdet. Zu zweit allein, und wir, die Horde, gucken zu.«
    »Das ist arg leichtsinnig«, unterstützte Rachmet den Jungen. »Und außerdem: Vertraust du dem Popensohn nicht gar zu sehr? Wenn er nun vorhat, durchzubrennen mit demganzen Geld? Laß mich mitkommen, und die Bombe schmeißt Jemelja.«
    »Nein, die Bombe werfe ich!« protestierte Stieglitz. »Jemelja hat das Kommando über die Jungs!«
    Fürchtet Rachmet nur die Gefahr, oder ist es etwas anderes? fragte sich Grin. Und in nüchternem, keinen Widerspruch duldendem Ton sagte er: »Joker und ich kommen gut alleine klar. Die Bombe wirft Jemelja. Werfen, und ab um die Ecke. Nicht warten, bis sie explodiert. Bloß vorher brüllen, damit sie wissen, von wo geworfen wurde. Dann in Deckung – und den Befehl zum Schießen geben, wenn es soweit ist. Rachmet wird am Überfall nicht teilnehmen.«
    »Wie bitte?« jaulte Rachmet auf.
    »Geht nicht anders«, erläuterte Grin. »Selber schuld. Nach dir wird gefahndet. Jeder Agent hat deinen Steckbrief. Reißt sonst noch alle mit rein. Du bleibst hier, am Telefon.«
     
    Um Viertel nach vier gingen sie los – etwas früher als nötig.
    Auf dem Hof blickte Grin sich um.
    Rachmet stand am Fenster. Als er sah, daß er bemerkt worden war, winkte er.
    Sie traten aus dem Hausflur auf die Straße.
    »Verdammt!« sagte Grin. »Ich hab den Ladestock vergessen. Den brauch ich. Falls eine Patrone sich verklemmt.«
    »Ich kann ihn holen«, bot Stieglitz, puterrot vor Aufregung, sich an. »Wo hast du ihn liegen? Auf dem Nachttisch, ja?« Er wollte schon loslaufen, doch Jemelja packte ihn beim Kragen.
    »Halt! Spinnst du? Wer das erste Mal auf Aktion geht, darf nicht umkehren – das ist ein altes Omen.«
    »Wartet im Schlitten. Bin gleich wieder da«, sagte Grin und lief zurück.
    Er betrat den Hof nicht gleich, schielte erst vorsichtig um die Ecke des Hausflurs. Am Fenster war keiner mehr.
    Hastig überquerte er

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