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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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den Hof, stieg die Treppe zur Beletage hinauf. Das vorsorglich geölte Schloß quietschte nicht.
    Lautlos huschte Grin in die Wohnung. Die Stiefel hatte er auf der Treppe gelassen.
    Er schlich durch den Salon. Aus dem Kabinett, wo der Telefonapparat stand, drang Rachmets Stimme.
    »Ja doch, zwölf-sieben-vier. Und Beeilung, Fräulein, wenn ich bitten darf, es ist dringend … Ist dort die Polizei? Ist dort die Geheime Staatspolizei? Ich …«
    Grin hüstelte.
    Rachmet ließ den Hörer fallen und fuhr herum.
    Im ersten Moment wirkte sein Gesicht seltsam, bar jeden Ausdrucks. Grin verstand: Sein Gegenüber war sich nicht sicher, ob die verhängnisvollen Worte gehört worden waren, wußte darum nicht, welche Rolle er spielen sollte – die des Genossen oder die des Verräters. Das konnte Rachmets wahres Gesicht sein. Leer. Wie eine mit trockenem Lappen abgewischte Schultafel – nichts als Kreideschlieren.
    Doch das blieb nicht länger als eine Sekunde so. Dann begriff Rachmet, daß er entlarvt war, ein höhnisches Lächeln zog ihm die Mundwinkel breit, die Augen wurden zu verächtlichen Schlitzen.
    »Was denn, mein lieber Grin, hast du deinem Kampfgenossen mißtraut? Da bin ich baff, das hätte ich nicht erwartet von dir komischem Kauz. Und nun stehst du da wie ein Zinnsoldat!«
    Grin stand in der Tat reglos, die Hände an den Hosennähten, zuckte auch nicht, als der kornblumenblaue Mann mit dem schartigen Grinsen seinen Bulldog aus der Tasche zog.
    »Warum kommst du allein?« lispelte Rachmet. »Ohne Jemelja, ohne Stieglitz? Oder wolltest du mich beschämen? Du mußt bedenken, Grin, ich kenne keine Scham. Das weißt du doch. Leider muß ich dich jetzt abschreiben. Schade, dich lebend auszuliefern wäre effektvoller gewesen. Was glotzt du? Ich hasse dich und dein Pokergesicht.«
    Eines mußte Grin noch herausbekommen: ob Rachmet schon länger für die Geheimpolizei arbeitete oder erst gestern angeworben worden war.
    Genauso fragte Grin auch.
    »Schon länger?«
    »Ha! Von Anfang an! Ihr Langweiler hängt mir zum Hals heraus. Du Bleiklotz am meisten! Ich hab gestern einen Mann kennengelernt, der ist hundertmal interessanter als du.«
    »Was heißt das, T. G.?« fragte Grin zur Sicherheit noch.
    »Hä?« machte Rachmet.
    Mehr Unklarheiten gab es nicht, und mehr Zeit mochte Grin nicht verlieren. Er schleuderte das Messer, das seine Rechte bis dahin umklammert gehalten hatte, und warf sich zu Boden, um dem Schuß zu entgehen.
    Doch es kam kein Schuß.
    Der Bulldog fiel auf den Teppich, Rachmet packte mit beiden Händen das Heft des Messers, das ihm aus der linken Brusthälfte ragte. Er senkte den Kopf, um den seltsamen Gegenstand mit Staunen zu betrachten. Riß das Messer aus der Wunde, Blut quoll ihm über das Hemd. Rachmets Augen irrten blind durch den Raum, dann fiel er auf das Gesicht.
     
    »Auf geht’s!« sagte Grin, der aus vollem Lauf in den Schlitten gesprungen kam und das Päckchen mit dem Nötigsten unter dem Sitz verstaute: Zünder, gefälschte Pässe, Ersatzpistole.»Er war unter den Stuhl gerollt. Hat gedauert, bis ich ihn gefunden habe. Jetzt fahren wir zusammen bis Chludowski tupik. Dort steigt ihr aus, und ich fahre weiter zu Joker. Noch eins. Wir kommen hierher nicht zurück. Nach dem Überfall Treffpunkt beim Streckenwärter. Arseni auch.«
     
    Joker – im Aufzug eines durchschnittlichen Handlungsreisenden: Biberfellmütze, Paletot, karierte Hosen und helle Filzstiefel mit Ledersohle, sehr exquisit – lief schon auf dem Trottoir auf und ab. Grin war wie verabredet als Kaufmannsgehilfe erschienen.
    »Wo zum Teufel bleibst du?« brüllte der »Experte« ihn an. Das gehörte zu seiner Rolle. »Bind den Gaul dort an und mach, daß du herkommst!« Und als Grin heran war, zwinkerte der Gauner ihm zu und sagte halblaut: »Wir zwei beiden geben ein hübsches Paar ab, was? Solche Ganter hab ich in meiner zarten Jugend mit Vorliebe geschlachtet. Sie müßten Juliette sehen – die erkennen Sie gar nicht wieder. Ich hab sie als Hausmütterchen rausgeputzt, damit sie im Indija keine Stielaugen kriegen. Hat die ein Theater gemacht! Sie wollte sich nicht verunstalten lassen, aber es gab kein Pardon …«
    Grin wandte sich ab, um die Zeit nicht mit leerem Geschwätz zu vergeuden. Er besichtigte den Standort und befand ihn für ideal. Der »Experte« verstand sein Geschäft.
    Die schmale Nemezkaja uliza, über die die Kutsche kommen würde, verlief von der Kukuj-Brücke her als schnurgerades Band. Der Konvoi würde

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