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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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alte Fürst tat ihm leid: Punkt eins.
    Die Kränkung, die dieser Herr Grin ihm angetan hatte, indem er seine dreiste Aktion unter der Maske des Staatsrats Fandorin vollzog, ließ sich nicht so einfach abschütteln: Punkt zwei.
    Und drittens, jawohl, ein Drittens gab es: Sein Ehrgeiz war angestachelt. Das wollen wir doch sehen, Ihro Petersburger Erlaucht, wer hier wozu fähig und in der Lage ist.
    Davon, daß diese drei Motive nun klar formuliert waren, arbeitete Fandorins Kopf sogleich kühler und präziser.
    Sollten die Kollegen in geschlossener Front der Kampfgruppe hinterherjagen. Ob sie sie einfingen und wie bald, würde man sehen. Währenddessen konnte er sich um die Falschspieler in den Reihen der Staatsdienerschaft kümmern. Das war womöglich dringlicher, als Terroristen zu fangen – und wenn sie noch so hochgefährlich waren.
    Und wer konnte schon wissen, ob am Ende nicht gerade dieser Weg der kürzeste zur berüchtigten KG war?
    Nun ja. Der Gedanke hatte einen Beigeschmack von Selbstbeschwichtigung, mußte Fandorin sich sagen.

SECHSTES KAPITEL
    Der Überfall
    Auf den Bahnsteig hinaus ging Grin natürlich nicht. Er setzte sich in das Café im Wartesaal für Abholer, bestellte einen Tee mit Zitrone und beobachtete durch das Fenster, was sich draußen tat.
    Das war interessant. So viele Spitzel auf engstem Raum hatte er noch nie gesehen. Nicht einmal, wenn der Imperator einen Ausflug unternahm. Beinahe jeder Dritte in der Menge war einer dieser Herren mit unstetem Blick, Gummihals und schmierigem Benehmen. Das besondere Augenmerk der Schergen galt dabei offenbar dunkelhaarigen, schlanken jungen Männern, von denen es keinem gelang, ungeschoren bis zur Bahnsteigkante vorzudringen – höflich wurden sie beim Arm gefaßt und beiseite geführt, zu einer Tür mit dem Schild
Dienstaufsicht
. Dahinter war jemand zu vermuten, der Grin in Klin zu Gesicht bekommen hatte.
    Nach kürzester Zeit wurden die Verdächtigten wieder laufengelassen; empört um sich blickend, eilten sie zurück auf den Bahnsteig. Gelegentlich erwischte es übrigens auch Blonde oder Rothaarige. Die Polizei hatte also immerhin ausreichend Phantasie, sich vorzustellen, der Gesuchte könnte inzwischen die Haarfarbe gewechselt haben.
    Daß Chrapows Mörder sich nun aber unter die Abholer statt unter die Abreisenden mischen könnte, dazu hatte die Vorstellungskraft nicht gereicht. Der Saal, in dem Grin es sichwohl sein ließ, lag leer und friedlich. Weder Spitzel noch blaue Uniformen schauten herein.
    Ebendarauf hatte Grin gehofft, als er beschloß, an den Neunuhrzug zu gehen, mit dem Joker eintreffen sollte. Das Risiko nahm er in Kauf – Aktionen, zu denen »Experten« herangezogen wurden, behielt er am liebsten selbst in der Hand.
    Der Zug traf pünktlich ein, und gleich gab es eine Überraschung. Noch vor Joker erblickte Grin im Strom der Eintreffenden Julie. Die über dem breitkrempigen Pelzhut schwingenden lila Straußenfedern wären auch schwerlich zu übersehen gewesen. Julie stach aus der Menge hervor wie ein Paradiesvogel aus einem Schwarm Nebelkrähen. Mehrere Träger schleppten ihr Koffer und Hutschachteln nach, während neben ihr her, die Hände in den Taschen vergraben, in leichtem, tänzelndem Gang ein hübscher junger Mann lief. Er trug einen taillierten Mantel mit Biberpelzkragen, dazu einen Cowboyhut und ein gestutztes schwarzes Oberlippenbärtchen. Das war Herr Joker, der Bankraubexperte.
    Grin wartete ab, bis das aufsehenerregende Paar auf dem Bahnhofsvorplatz, wo die Mietkutschen standen, angelangt war, bevor er ihnen geruhsam nachlief.
    Von hinten an die beiden herantretend, fragte er: »Wozu denn Sie, Julie?«
    Der Joker fuhr scharf herum, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen. Ein kurzes Nicken als Zeichen des Erkennens.
    Anders Julie. Zurückhaltung war noch nie ihre Stärke gewesen. Auf ihr rosiges kleines Gesicht trat ein glückseliges Strahlen.
    »Grinotschka, Liebster, ich grüße Sie!« rief sie und warf sich Grin an den Hals, gab ihm einen lauten Schmatz auf dieWange. »Was bin ich froh, Sie zu sehen!« Und weiter, im Flüsterton: »Ich bin ja so stolz auf Sie! Und mach mir solche Sorgen! Sie wissen doch wohl, daß Sie jetzt der Hauptschurke sind?«
    »Ich wollte sie nicht mitnehmen«, sagte der Joker und zog eine Grimasse. »Ich hab gesagt, ich fahre geschäftlich, nicht aus Jux und Tollerei. Aber mach ihr das mal begreiflich.«
    Das stimmte. Julie war schwer zu widerstehen. Wenn sie etwas unbedingt wollte,

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