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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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wälzte sich behende zur Seite.
    Sie kamen gleichzeitig auf die Füße, Gesicht gegen Gesicht.
    Daß der Revolver in der Tasche des Kaftans steckte, war schlecht. Der hing dort drüben am Haken. Zu weit weg, sinnlos außerdem – hier im Zimmer durfte nicht geschossen werden, sonst lief gleich das ganze Hotel zusammen.
    Julie stand starr an der Wand. Die Augen schreckgeweitet, der Mund offen. Die eine Hand hielt krampfhaft die große Champagnerflasche, während die Finger der anderen mechanisch die Goldfolie vom Korken rissen.
    »Was ist, Metze?« fragte der Gauner sie mit gehässigem Grinsen. »Hast du den Joker gegen eine Lusche getauscht? Sieh ihn dir an, den Kretin. Fast schon ein toter Mann.«
    »Das bildest du dir ein, Jokerchen«, stammelte Julie mit zittriger Stimme. »Alles Einbildung. Nichts davon ist wahr.«
    »Lüg nicht. Für Verrat hat Joker eine feine Nase. Den riecht er sofort. Nur deswegen läuft er noch frei auf Erden rum, anstatt im Kittchen zu versauern.«
    Der »Experte« beugte sich nach vorn und zog aus dem Stiefelschaft eine schmale, feine Klinge.
    »Ich werd dich jetzt schlachten, Totenkopf. Und zwar fein langsam. Scheibchenweise.«
    Grin wischte sich mit dem Ärmel die zerschlagene Braue, damit das Blut ihn nicht am Sehen hinderte, und hob die bloßen Hände in Abwehrstellung. Das Messer hatte er Rachmet geopfert. Egal. Es ging auch ohne Messer.
    Joker kam tänzelnd näher, entzog sich Grins rechtemHaken mit einer leichten Drehung und ritzte ihm das Handgelenk. Es tropfte rot. Julie schrie auf.
    »Das war die Vorspeise«, versprach ihm Joker, und Grin sagte: »Sei leise, Julie. Du darfst hier nicht schreien.«
    Er unternahm einen Versuch, seinen Gegner beim Kragen zu packen, stieß jedoch erneut ins Leere, während ihm der scharfe Stahl durch das Wams drang und heiß in die Seite fuhr.
    »Das das Süppchen.«
    Jetzt schnappte sich Joker mit der Linken urplötzlich die Wasserkaraffe vom Tisch und schleuderte sie auf Grin. Der mußte, um ihr auszuweichen, den Kopf einziehen und dabei den »Experten« einen Moment aus den Augen lassen. Das Messer nutzte ihn unverzüglich, wischte am Ohr vorbei – es begann zu brennen wie Feuer, so als hätte die Berührung es entzündet. Grin hob die Hand: Der obere Teil der Ohrmuschel hing nur noch an einem dünnen Hautfetzen. Er riß ihn ab, warf das Stück Ohr von sich. Das Blut rann ihm heiß den Hals hinab.
    »Das war der Hauptgang«, erläuterte Joker. »Und gleich kommen wir zum Dessert.«
    Grin mußte seine Taktik ändern. Er wich zur Wand zurück, stellte sich reglos dort auf. Er durfte nicht länger auf die Klinge achten. Sollte er zustechen. Wichtig war, daß ihm selbst der Vorstoß gelang. Den Gegner mit einer Hand am Kinn packen, mit der anderen am Schädel. Und dann kräftig ausrenken. Wie damals, vierundachtzig, bei der Schlägerei auf dem Transport nach Tjumen.
    Doch Joker schien es mit dem nächsten Angriff nicht eilig zu haben. Er stand in drei Schritt Entfernung und ließ die Finger spielen, zwischen denen das Messer aufleuchtete wie eine blitzende kleine Schlange.
    »Was ist, Juliettchen, wen erwählst du dir?« fragte er mit unverhohlenem Spott. »Möchtest du ihn geschenkt haben? Macht ja nichts, daß er ein bißchen verbeult und zerschnippelt ist, du könntest ihm die Wunden lecken … Oder willst du lieber mit mir verreisen? Geld hab ich jetzt im Überfluß. Damit könnten wir Mütterchen Rußland für immer den Rücken kehren.«
    »Dich erwähle ich natürlich, nur dich!« erwiderte Julie ohne zu zögern und stürzte schluchzend auf Joker zu. »Den da brauch ich nicht. Ich hab bloß ein bißchen mit ihm geschäkert, meine Reize spielen lassen. Verzeih mir, Jokerchen, du kennst doch meine Art. Gegen dich ist er ein Nichts. Hat mich bloß vollgesabbert. Kein Interesse. Schlag ihn tot. Er ist gefährlich. Wenn er erst die Revolution auf deine Fährte gelockt hat, findest du in ganz Europa kein Versteck mehr.«
    »Hörst du, was das schlaue Weib mir rät?« fragte der Bankräuber sein Gegenüber augenzwinkernd. »Kaltgemacht hätte ich dich sowieso, auch ohne ihren Ratschlag. Aber du kannst dich trotzdem bei ihr bedanken. Daß ich kurzen Prozeß mit dir mache. Eigentlich wollte ich noch bißchen mit dir spielen, Nase und Augen aus…«
    Er kam nicht zu Ende. Mit trockenem Knall krachte ihm die grüne Champagnerflasche auf den Scheitel. Der »Experte« kippte um, Grin direkt vor die Füße.
    »Au! Au! Au! Au!« fiepte Julie mechanisch, wie

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