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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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ihr, daß wir uns benehmen. Ja natürlich, das sind die Gesetze des Kapitals! Wer eine Ware gut verkaufen will, muß zunächst für ihre Begehrtheit sorgen, damit der Speichelfluß des Kunden in Gang kommt. Ich aber bin keine Ware, Euer Hochgeboren. Genausowenig wie Ihr mein Kunde seid.« Esfirs Blick glühte im Zorn der Gerechten, ihre schmale Hand fuhr wütend durch die Luft. »Wir Frauen einer neuen Epoche genieren uns nicht unserer Natur und suchen uns selbst aus, wen wir lieben. Bei uns im Zirkel zum Beispiel gibt es ein Mädchen, vor dem die Männer zurückprallen, so abstoßend häßlich ist die Ärmste, eine wahre Mißgeburt, ein Alptraum.Doch wird sie von allen respektiert, nämlich ihres Verstandes wegen, der schärfer ist als der so mancher Grazie. Und von ihr kannst du hören, daß die freie Liebe nicht als landläufige Sünde, sondern als ein Bund zweier gleichberechtigter Wesen zu betrachten ist. Ein vorübergehender, versteht sich, insofern Gefühle eine flüchtige Materie sind und sich nicht lebenslänglich in den Turm sperren lassen. Auch du brauchst keine Angst zu haben, daß ich dich vor den Altar zerre. Ich verlasse dich sowieso bald. Du bist nämlich absolut nicht mein Fall, und eigentlich bist du ganz schrecklich! Ich möchte deiner recht bald überdrüssig werden, für alle Zeit desillusioniert. Was glotzt du so? Komm her! Augenblicklich!«
    Masa mußte draußen vor der Tür gelauscht haben, denn just in diesem Moment erschien sein runder schlitzäugiger Kopf im Türspalt.
    »Gutzen Molegen!« sprach der Kopf mit strahlendem Lächeln.
    »Geh zum Teufel mit deiner Gymnastik!« rief die resolute Esfir und schleuderte zielsicher ihr Kissen nach dem Kopf. Masa ließ es von sich abprallen, ohne mit der Wimper zu zucken.
    »Blief von glosse Hellen!« verkündete er und hielt ein längliches weißes Kuvert hoch.
    Als »großen Herren« bezeichnete der Japaner den Generalgouverneur, weshalb der Grund für sein Eindringen gebührlich zu nennen war. Fandorin öffnete das Kuvert und zog ein Kärtchen mit aufgeprägtem Goldwappen hervor.
    Der Text war größtenteils typographisch gefertigt, nur Name und Postskriptum waren in der altmodischen, regelmäßigen Handschrift Seiner Erlaucht hinzugefügt.

    »Was ist es?« wollte Esfir wissen. »Ruft der schreckliche Zar? Hundekopf an den Sattel 1 und zum Dienst getrabt? Köpfe müssen rollen?«
    »Ganz im Gegenteil«, erwiderte Fandorin. »Eine Einladung in die Residenz des Generalgouverneurs. Zum Pfannkuchenessen. Hör’s dir an.«
    Und er las vor, wobei er den Anhang selbstverständlich unterschlug. Wie gut informiert sich der Fürst über das Privatleben seiner Nächstuntergebenen zeigte, konnte Fandorin übrigens nicht mehr verwundern – daran hatte er sich mit den Jahren gewöhnt.
    »Übrigens, wenn du möchtest, g-gehen wir gemeinsam hin«, bemerkte er – überzeugt davon, daß Esfir anders als in Ketten und mit vorgehaltener Pistole zum Pfannkuchenessen beim Generalgouverneur nicht zu bewegen war.
    »Was soll das heißen, im engen Kreise?« fragte sie mit verächtlichem Naserümpfen. »Der Sultan und seine Wesire nebst handverlesener Eunuchen?«
    »Die Butterwochenpfannkuchen beim Fürsten sind eine Tradition«, begann Fandorin zu erklären. »Seit über zwanzig Jahren. Der enge Kreis besteht aus siebzig, achtzig Beamten und reputablen Bürgern mit ihren Frauen. Es wird die Nacht hindurch gegessen, getrunken, getanzt. Nicht besonders spannend. Ich ziehe mich immer beizeiten zurück.«
    »Und die Garderobe bleibt einem wirklich selbst überlassen?« fragte Esfir versonnen und sah dabei nicht Fandorin an, sondern vor sich auf einen fernen Punkt.
     
    Nachdem Fandorin von Esfir Abschied genommen hatte (nur bis zum Wiedersehen am Abend!), rief er mehrere Male die Nummer an, die Oberst Burljajew vor zwei Tagen dem Fräulein im Amt genannt hatte – doch niemand nahm ab. Rechnen ließ sich ohnehin nicht damit, daß die kapriziöse »Mitarbeiterin« den unmanierlichen Staatsrat noch einmal empfangen würde. Er überlegte, ob er die Abwesenheit der Agentin nicht nutzen sollte, die kleine Villa am Arbat einer diskreten Durchsuchung zu unterziehen.
    Fandorin hatte das nötige Instrumentarium bereits gepackt und besagte Nummer, nur um sicherzugehen, noch ein letztes Mal angewählt, als im Hörer plötzlich ein gedehntes, lässiges, betont amerikanisches »Hello-o?« ertönte.
    Wider Erwarten schien Diana vergessen zu haben, daß sie den Staatsrat zur Persona non

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