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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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grata erklärt hatte: Als er zu kommen vorschlug, willigte sie sofort ein.
    Diesmal hatte er auch nicht lange vor verschlossener Tür auszuharren. Nach Betätigen des Glöckchens faßte er an den kupfernen Knauf – die Tür gab zu seiner Verwunderung nach. Das Schloß mußte bereits zuvor entriegelt worden sein.
    Den Weg über die Treppe hinauf zum Mezzanin kannte er schon. Er klopfte an und trat, ohne eine Aufforderung abzuwarten, ein.
    Wie beim letzten Mal waren die dünnen Vorhänge ganz vor die Fenster gezogen. Die Frau auf dem Sofa trug wieder Barett und Schleier.
    Fandorin tat eine Verbeugung und wollte im Sessel Platz nehmen, doch die Frau winkte ihn zu sich heran.
    »Kommen Sie her. Es macht Mühe, quer durchs Zimmer zu flüstern.«
    »Finden Sie diese V-v-… Vorsichtsmaßnahmen nicht etwas übertrieben?« konnte Fandorin nicht an sich halten, wohl wissend, daß er die Gastgeberin nicht unnötig aufbringen durfte. »Daß ich Ihr Gesicht nicht zu sehen bekomme, dürfte doch ausreichend sein.«
    »Nein-nein«, säuselte Diana. »Rascheln, Raunen, Wispern – das ist nun mal meine Tonart. Schatten, Dunkelheit und Stille sind mein Element. Setzen Sie sich, mein Herr. Wir werden uns hübsch leise unterhalten. Und in den Pausen dem Schweigen lauschen.«
    »Wie es Ihnen beliebt.«
    Fandorin ließ sich in einigem Abstand zu der Dame nieder.
    Halb abgewandt, versuchte er aus den Augenwinkeln und durch den Schleier hindurch irgendwelche Merkwürdigkeiten ihres Gesichts zu erkennen. Aber dazu war es im Raum leider zu dunkel.
    »Wußten Sie schon, daß Sie unter der progressiven Jugend neuerdings sehr umstritten sind?« fragte die »Mitarbeiterin« spöttisch. »Ihre Einmischung in die Operation des verehrten Oberstleutnant Burljajew vor zwei Tagen hat meine revolutionären Freunde in zwei Lager gespalten. Die einen sehen inIhnen einen Staatsbeamten neuen Typs, den Vorboten eines liberalen Wandels. Andere wiederum …«
    »Andere s-sehen was?«
    »Andere sagen, daß man Sie erst recht liquidieren muß, weil Sie gerissener und gefährlicher seien als die stumpfsinnigen Spürhunde von der Polizei. Aber keine Angst.« Diana berührte den Staatsrat sacht an der Schulter. »Sie haben eine fabelhafte Fürsprecherin in der kleinen Esfir. Die ihrerseits seit vorgestern als Heldin gefeiert wird. Tja, schöne Männer finden eben immer ihre Fürsprecherinnen …«
    Und es erklang ein gedämpftes, beinahe lautloses Lachen, das den Staatsrat äußerst unangenehm berührte.
    »Ist etwas dran an dem Gerücht, daß Larionow von der KG hingerichtet wurde?« fragte Diana und neigte wißbegierig den Kopf. »Er sei ein
agent provocateur
gewesen. Jedenfalls nimmt bei uns keiner mehr seinen Namen in den Mund. Ein Tabu – wie bei den Wilden. Ist er denn tatsächlich ein Mitarbeiter gewesen?«
    Fandorin gab keine Antwort, denn diesen Gedanken galt es zu Ende zu denken: Er wußte nun, warum Esfir den toten Ingenieur kein einziges Mal erwähnt hatte.
    »Sagen Sie, Verehrteste: Ist Ihnen eine Person bekannt, die sich Nadel nennt?«
    »Nadel? Höre ich zum ersten Mal. Wer soll das sein?«
    »Dem Anschein nach um die Dreißig. Dünn. Groß. Nicht sehr hübsch …« Fandorin gab wieder, wie Rachmet alias Gwidon sie beschrieben hatte. »Mehr weiß man nicht.«
    »Na, solche gibt es bei uns wie Sand am Meer. Könnte sein, daß ich sie unter ihrem richtigen Namen kenne, weil der Deckname nur in konspirativen Kreisen kursiert. Meine Verbindungen, Monsieur Fandorin, sind zwar weitläufig, dochsie wurzeln nicht sehr tief. Bis in den Untergrund reichen sie nicht. Wer hat Ihnen von dieser Nadel erzählt?«
    Er gab schon wieder keine Antwort. Höchste Zeit, daß er zum Wesentlichen kam.
    »Diana, Sie sind eine außergewöhnliche Frau«, begann er und bemühte sich, enthusiastisch zu klingen. »Neulich haben Sie einen unauslöschlichen Eindruck in mir hinterlassen, ich muß seither immerzu an Sie denken. Ich glaube, zum ersten Mal in meinem Leben bin ich einer echten F-f-… Femme fatale begegnet, derentwegen solide Männer den Kopf verlieren und ihre Dienstpflichten vergessen.«
    »Reden Sie nur, reden Sie!« flüsterte die Frau ohne Gesicht und Stimme. »So etwas hört man gern.«
    »Ich beobachte nur, daß Sie Burljajew ebenso wie Swertschinski, zwei durchaus nüchterne und seriöse Herren, komplett um den Verstand gebracht haben. Die Eifersucht macht sie ganz fuchtig aufeinander. Und ich bin überzeugt davon, daß beider Vermutungen nicht unbegründet

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