Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
mischte.
    Als nächstes verband er notdürftig seine Wunden. Am problematischsten war das Ohr, weshalb er es einfach mit einem Taschentuch bedeckte und die wattierte Kommißmütze straff darüberzog. Julie brachte einen Kübel Wasser, wusch ihm das Blut von Gesicht und Händen.
    Nun konnten sie gehen.
    Grin ließ Julie am Schlitten Wache stehen und schleppte die Säcke einzeln aus dem Zimmer. Zwei auf einmal ging nicht – er durfte das verletzte Handgelenk nicht unnötig belasten.
    Wohin mit dem Geld? Darüber dachte er erst nach, als sie dem »Indija« glücklich den Rücken gekehrt hatten.
    Es mit zum Treffpunkt zu nehmen, dem Stellwärterbüdchen beim Windauer Bahnhof, schien zu gefährlich. Der Ort war gut einsehbar, leicht konnte einer mitkriegen, wie er die Säcke hineinschleppte, und argwöhnen, daß es sich um gestohlene Fracht aus einem Güterzug handelte.
    In ein anderes Hotel? Mit den Säcken ließ man ihn nicht auf das Zimmer. Sie in Verwahrung zu geben – viel zu riskant.
    Julie hatte die Idee. Und das, obwohl sie die ganze Zeit, während er nachdachte, nichts gesagt und nichts gefragt hatte, einfach nur neben ihm gluckte in ihrem biederen Kleid. Auf einmal sagte sie: »Man könnte auf den Nikolaus-Bahnhof damit. Ich hab dort meine Koffer in der Gepäckaufbewahrung. Die hol ich ab und laß die Säcke dafür da. Dort herrschen strenge Sitten, da schnüffelt keiner in fremdem Gut. Und die Polizei kommt zuallerletzt darauf, daß das Geld vor ihrer Nase liegt.«
    »Ich kann dort nicht hin«, erklärte Grin. »Alles voll Spione.«
    »Mußt du ja nicht. Ich geb mich als Zimmermädchen aus, hol für meine Herrschaft die Koffer. Ich hab die Quittung. Und in den Säcken hat die Herrschaft ihre Bücher, werd ich sagen. Geht keinen was an. Du bist der Kutscher und bleibst im Schlitten, betrittst den Bahnhof gar nicht erst. Ich besorg Träger.«
    Von Julie geduzt zu werden war sonderbar und unangenehm.Doch die Idee mit der Gepäckaufbewahrung ging in Ordnung.
    Vom Bahnhof fuhren sie ins Hotel »Kitesh«, nahe Krasnye worota – kein erstklassiges Haus, doch immerhin mit einem Telefon am Tresen, was für den Moment besonders wichtig war.
    Grin rief die Kontaktperson an.
    »Was ist?« fragte er nur.
    »Sind Sie es?« Nadels Stimme zitterte vor Aufregung. »Na Gott sei Dank. Geht’s Ihnen gut? Haben Sie die Ware?«
    »Ja. Was ist mit den anderen?«
    »Alle wohlauf, außer Arseni, der ist krank geworden. Der konnte nicht mitkommen.«
    »War der Arzt da?« fragte er stirnrunzelnd.
    »Nein. War keine Zeit mehr.« Wieder das Zittern in der Stimme.
    »Geben Sie meinen Leuten am Windauer Bahnhof Bescheid. Sie sollen ins Hotel Kitesh kommen. Am Anfang der Basmannaja. Sie auch. Zimmer siebzehn. Bringen Sie Spiritus, Nadel und festen Faden mit.«
    Schnell war Nadel zur Stelle. Nickte Julie kurz zu, ohne richtig hinzusehen, obwohl sie ihr zum ersten Mal begegnete. Ihr ganzes Augenmerk galt Grins verbundenem Kopf, der überklebten Braue.
    »Schwere Verletzungen?« fragte sie trocken.
    »Nein. Haben Sie alles?«
    Sie stellte eine kleine Reisetasche auf dem Tisch ab.
    »Spiritus, Nadel und Faden, wie bestellt. Außerdem Mull, Watte, Binden und Pflaster. Ich habe eine Ausbildung bei den Barmherzigen Schwestern gemacht. Sie müssen mir nur zeigen, was ist, den Rest mache ich.«
    »Gut. Mit der Hüfte komme ich selbst klar. Braue, Ohr und Hand kann ich schlecht allein. Pflaster ist gut … Eine Rippe ist gebrochen, die braucht einen Druckverband.«
    Er machte den Oberkörper frei. Als Julie die blauen Flecke und den blutgetränkten Verband sah, ächzte sie mitfühlend.
    »Ein Messerstich, nicht tief«, erläuterte Grin die Hüftwunde. »Nichts Wichtiges verletzt. Nur auswaschen und nähen.«
    »Legen Sie sich auf den Diwan«, befahl Nadel. »Ich muß mir erst die Hände waschen.«
    Julie hockte sich neben ihn. Das Puppengesicht zur Leidensmiene verzerrt.
    »Grinotschka, mein Ärmster. Tut es sehr weh?«
    »Sie werden hier nicht gebraucht«, sagte er. »Sie haben das Ihre getan, jetzt ist sie dran. Treten Sie beiseite.«
    Schnell und geschickt wusch Nadel die Wunde mit Spiritus aus. Tränkte auch den Faden damit. Glühte die Nadel über der Kerze aus.
    Damit die Anspannung bei ihr nachließ, versuchte Grin einen Scherz: »Die Nadel mit der Nadel.«
    Es war wohl nicht lustig genug – sie verzog keine Miene.
    »Gleich tut es weh«, warnte sie. »Seien Sie tapfer.«
    Doch er empfand so gut wie keinen Schmerz. Eine Folge des Trainings.

Weitere Kostenlose Bücher