Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
er zuviel Gefühl für seine Studentin gezeigt hatte und zu wenig für den Affen? Warum war er so – ja, was eigentlich? – negativ dem Alsa-Projekt gegenüber eingestellt gewesen? Warum hatte er nicht gewußt, daß die Hand des Affen gefehlt hatte? Pelletier hatte mir doch erzählt, daß Bailey den Kadaver gesehen hatte. Da hätte er doch bemerken müssen, daß eine Hand fehlte, oder nicht? Außerdem hatte man ihm die Überreste ausgehändigt, und er hatte sie mitgenommen.
»Mist«, sagte ich laut und schlug mir mit der Hand auf die Stirn.
Ein Mann in einer Latzhose drehte sich erstaunt nach mir um. Er trug weder Hemd noch Schuhe und hielt in beiden Händen eine Papiertüte, deren abgerissene Handgriffe in merkwürdigen Winkeln abstanden. Ich lächelte ihm beruhigend zu, woraufhin er weiterschlurfte und den Kopf über den Zustand der Menschheit und des Universums schüttelte.
Du bist ja schon so schusselig wie Columbo, schimpfte ich mich selbst. Du hast Bailey nicht einmal gefragt, was er mit dem toten Affen gemacht hat. Spitzenmäßig, wirklich!
Nachdem ich mich dergestalt ausgescholten hatte, schlug ich mir als eine Art Wiedergutmachung den Kauf eines Hotdogs vor.
Weil ich wußte, daß ich ohnehin nicht würde schlafen können, willigte ich ein. So konnte ich meine Schlaflosigkeit wenigstens auf das Essen schieben. Also ging ich in eine Chien-Chaud- Bude an der Rue St. Dominique und bestellte einen Hotdog mit allem, Pommes und eine Cola Light. »Cola gibt’s nicht, nur Pepsi«, sagte der Mann hinter der Theke, der mich mit seinem dichten, schwarzen Haar und seinem breiten Akzent an John Belushi erinnerte. Manchmal kommt es mir so vor, als würde die Wirklichkeit das Kino imitieren.
Zum Essen setzte ich mich in eine Nische mit rot-weißen Plastikmöbeln, in der ein paar verblichene Plakate von Griechenland hingen. Genau da wäre ich jetzt gerne, dachte ich, während ich den blauen Himmel und die weißen Häuser von Paros, Santorin und Mykonos betrachtete. Das wäre genau das richtige für mich. Draußen fuhren immer mehr Autos vor und parkten auf dem nassen Gehsteig. Die Main kam langsam in die Gänge.
Ein Mann betrat das Lokal und verwickelte Belushi in eine laute Unterhaltung in einer Sprache, von der ich annahm, daß sie Griechisch war. Seine Kleidung war feucht vom Regen und roch nach Rauch und Fett und einem Gewürz, das ich nicht kannte. In seinen dunklen Haaren glänzten die Regentropfen. Als ich zu ihm hinübersah, lächelte er mich an, hob eine seiner buschigen Augenbrauen und fuhr sich langsam mit der Zunge über die Oberlippe. Er hätte mir ebensogut seine Hämorrhoiden zeigen können. Als Antwort auf seine Unverschämtheit zeigte ich ihm den Stinkefinger und schaute demonstrativ aus dem Fenster.
Durch die regennasse Scheibe konnte ich ein paar Geschäfte auf der gegenüberliegenden Straßenseite sehen, die jetzt, am Abend vor dem Feiertag, geschlossen waren. Eines davon hieß La Cordonnerie La Fleur. Wie kam ein Schuster nur auf den Gedanken, sein Geschäft »Die Blume« zu nennen?
Daneben befand sich La Boulangerie Nan. War das nun der Name des Bäckers, oder stellte der Laden hauptsächlich indische Nan-Fladen her? Im Schaufenster konnte ich nur leere Regale erkennen. Durften Bäcker eigentlich am Nationalfeiertag arbeiten?
La Boucherie St. Dominique hatte das Schaufenster mit den Sonderangeboten der Woche vollgepflastert. Lapin frais. Boeuf. Agneau. Poulet. Saucisse. Frisches Kaninchen, Rindfleisch, Lamm, Hühnchen, Würste, Affe.
Das war’s. Schluß jetzt. Höchste Zeit, das Lokal zu verlassen. Ich knüllte die Papierserviette zusammen und warf sie auf die Pappschale, in der mein Hotdog gewesen war. Für so was fällen wir ganze Wälder. Zusammen mit der Pepsidose warf ich das Zeug in den Abfalleimer und ging.
Mein Auto war noch immer dort, wo ich es abgestellt hatte. Ich stieg ein und fuhr los.
Während der Fahrt dachte ich wieder an die Morde. Mit jedem Klacken der Scheibenwischer sah ich neue Bilder vor mir. Alsas verstümmelten Arm. Klack. Morisette-Champoux’ Hand, die auf dem Küchenboden lag. Klack. Chantale Trottiers Sehnen. Klack. Armknochen, die am unteren Ende sauber durchgesägt waren. Klack.
War es eigentlich bei allen dieselbe Hand, die abgeschnitten worden war? Ich konnte mich nicht richtig daran erinnern und nahm mir vor, es so bald wie möglich zu überprüfen. Bei den menschlichen Opfern hatte keine der abgeschnittenen Hände gefehlt. War das Zufall? Hatte
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