Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
die Auswahl nicht. So leise wie möglich tastete ich an der Wand entlang nach dem Messerhalter. Als ich ihn gefunden hatte, nahm ich ein großes Brotmesser heraus. Ich schloß die Finger um den Griff und ließ den Arm sinken.
Ganz langsam, auf Zehenspitzen, schlich ich barfuß bis zu dem Punkt, von dem aus ich ins Wohnzimmer spähen konnte. Es war ebenso dunkel wie mein Schlafzimmer und die Küche.
Nach einer Weile entdeckte ich Birdie, der direkt vor der Glastür hockte und etwas draußen im Garten betrachtete. Dabei wedelte er in nervösen, kleinen Bögen mit dem Schwanz. Sein Körper war bis zum Äußersten angespannt.
Ein weiteres Klicken und Klacken gefror mir das Blut in meinen Adern. Jetzt hörte ich deutlich, daß die Geräusche von draußen kamen. Birdie brachte die Ohren in die Horizontale.
Mit fünf zittrigen Schritten war ich neben Birdie. Unwillkürlich griff ich nach unten und streichelte ihm über den Kopf. Der Kater zuckte bei der unerwarteten Berührung zusammen und rannte so ungestüm aus dem Zimmer, daß er mit seinen Krallen kleine Furchen in den Teppichboden riß. Im Halbdunkel sahen sie wie kurze, schwarze Kommas aus. Dabei gab er ein lautes Miauen von sich, das fast wie ein Schrei klang.
Seine Flucht kostete mich den letzten Nerv, und ich stand einen Augenblick so starr da wie eine Statue auf den Osterinseln.
Mach dasselbe wie die Katze! schrie meine Angst mir zu. Nichts wie weg hier!
Ich machte einen Schritt rückwärts. Klick. Klack. Ich blieb stehen und krallte meine Hand um das Messer wie eine Ertrinkende um einen Rettungsring. Stille. Dunkelheit. Da-dum, Da-dum, Da-dum. Ich lauschte meinem Herzschlag und suchte in meinem Gehirn nach einem Sektor, der vielleicht noch zu einem logischen Gedanken fähig war.
Wenn jemand in der Wohnung ist, sagte ich mir, dann ist er hinter dir. Dein Fluchtweg ist also nach vorn, nicht nach hinten. Aber wenn jemand draußen im Garten ist, dann darfst du ihn nicht hereinlassen.
Da-dum. Da-dum.
Das Geräusch ist draußen, sagte ich mir. Was Birdie gehört hat, war draußen.
Da-dum. Da-dum.
Dann schau nach. Preß dich ganz dicht an die Wand neben den Glastüren und bewege die Vorhänge so weit, daß du hinaussehen kannst.
Das klang ziemlich einleuchtend.
Bewaffnet mit meinem treuen Brotmesser hob ich einen meiner Füße vom Teppich und machte einen Schritt hinüber zur Wand. Dort holte ich tief Luft und schob die Vorhänge ein paar Zentimeter auseinander. Nur mit Mühe konnte ich die dunklen Formen im Garten auseinanderhalten. Den Baum, die Bank, die Büsche. Nichts bewegte sich außer ein paar vom Wind geschüttelten Zweigen. Ich blieb eine ganze Weile am Fenster stehen, aber nichts veränderte sich draußen. Dann schlich ich ein paar Schritte weiter und drückte den Griff, der die Glastüren öffnete. Er war fest verriegelt.
Mit erhobenem Messer tastete ich mich verteidigungsbereit an der Wand entlang zur Wohnungstür, wo sich die Alarmanlage befand. Das Lämpchen leuchtete rot und zeigte damit an, daß an Türen und Fenstern nicht manipuliert worden war. Einem Impuls folgend drückte ich den Testknopf der Anlage.
Obwohl ich auf das Summen vorbereitet war, zuckte ich zusammen und hob den Arm mit dem Messer noch höher.
Du Idiotin! sagte der noch funktionierende Teil meines Gehirns. Dieser Ton sagt dir doch nur, daß die Alarmanlage funktioniert und daß nicht eingebrochen worden ist! Kein Fenster und keine Tür wurden geöffnet! Es kann also niemand in der Wohnung sein.
Dann ist er da draußen, sagte ich mir, noch immer zitternd.
Kann sein, sagte mein Gehirn, aber das ist nicht so schlimm. Mach Licht an, zeig ihm, daß jemand in der Wohnung ist, dann wird sich jeder Einbrecher, der auch nur ein Fünkchen Verstand hat, aus dem Staub machen.
Ich versuchte zu schlucken, aber mein Mund war zu trocken. Mit dem Mut der Verzweiflung knipste ich das Licht im Gang und danach alle Lichter in den Schlafzimmern an. Nirgendwo war ein Eindringling zu entdecken. Als ich mich, das Messer noch immer in der Hand, auf der Bettkante niederließ, hörte ich das gedämpfte Klicken und Klacken wieder. Ich zuckte so stark zusammen, daß ich mich um ein Haar mit dem Messer verletzt hätte.
Ermutigt durch die Helligkeit und durch das Wissen, daß niemand in meiner Wohnung war, ging ich wieder zu der doppelten Glastür, die hinaus in meinen Garten führt, nur diesmal tat ich es so rasch ich konnte. Im Wohnzimmer brannte noch kein Licht, und so konnte mich von
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