Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
glühende Krümel auf den Gehsteig fielen.
»Ich habe dir doch schon letztes Mal gesagt, daß der Kerl die Intelligenz eines Leberwurstbrotes und soviel Persönlichkeit wie ein plattgefahrener Igel hat. Aber ich glaube nicht, daß er jemanden umgebracht hat.«
»Wissen Sie, wo er jetzt ist?« fragte ich.
»Nein. Solche Cretins gibt es wie Sand am Meer. An diese Typen verschwende ich keinen einzigen Gedanken.«
»Aber Sie haben gesagt, daß der Kerl nichts Gutes bedeutet.«
»Wer bedeutet hier schon etwas Gutes?«
»Haben Sie ihn vielleicht in letzter Zeit gesehen?«
Sie sah mich prüfend an und blickte dann ins Leere, als suche sie in ihrem Inneren nach einem Bild oder einem Gedanken, dessen Inhalt ich nur raten konnte. Um etwas Erfreuliches schien es sich offenbar nicht zu handeln.
»Ja. Ich habe ihn gesehen.«
Ich wartete. Sie nahm einen Zug und sah einem Wagen hinterher, der langsam die Straße entlang fuhr.
»Aber Julie habe ich nicht gesehen.«
Sie nahm noch einen Zug, schloß die Augen und behielt den Rauch lange in ihrer Lunge, bevor sie ihn hinaus in die Nachtluft blies.
»Und deine Freundin Gabby auch nicht.«
Das war ein Angebot. Sollte ich sie drängen, mir etwas zu sagen?
»Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?«
»Ehrlich gesagt, Süße, für mich siehst du so aus wie eine, die ohne Stadtplan nicht mal ihren eigenen Hintern findet.«
Es tat mir immer gut, wenn andere Menschen eine hohe Meinung von mir hatten.
Jewel nahm einen letzten Zug, dann warf sie den Stummel auf das Pflaster und trat ihn aus.
»Nun komm schon, Margaret Mead, dann laß uns mal sehen, ob wir uns einen plattgefahrenen Igel von der Straße kratzen können.«
31
Mit klappernden Absätzen schritt Jewel zielstrebig voran. Ich hatte keine Ahnung, wohin sie mich bringen würde, aber unbequemer als mein Betonblock konnte es wohl kaum sein. Wir gingen zwei Blocks weiter nach Osten, dann verließen wir die Rue Ste. Catherine und überquerten ein leeres Grundstück. Ich stolperte Jewel hinterher, die trotz der Dunkelheit mit traumwandlerischer Sicherheit ihren Weg durch aufgerissenen Asphalt, Getränkedosen und Glasscherben fand. Wie schaffte sie das bloß in ihren Stöckelschuhen? Auf der anderen Seite des Grundstücks bogen wir in eine schmale Gasse ein und betraten ein hölzernes Gebäude, an dem weder ein Schild noch eine Aufschrift verkündeten, was sich darin verbarg. Selbst die Fensterscheiben waren schwarz gestrichen. Im Inneren verbreiteten rote Lichterketten ein schummriges Licht, bei dem ich an die Beleuchtung eines Käfigs für Nachtraubtiere denken mußte. Ich fragte mich, ob die rote Farbe auf die Besucher der Kneipe wohl stimulierend wirken sollte.
Unauffällig sah ich mich um, wobei sich meine Augen nicht allzu sehr auf den Lichtwechsel einstellen mußten. Hier war es schließlich kaum heller als draußen auf der Straße. Über den mit dunklen Holztischen versehenen Nischen hingen Bierreklamen, und an der Wand neben der Tür waren leere Bierträger aufeinandergestapelt. Obwohl fast keine Menschen mehr in der Bar waren, stank sie nach Zigarettenrauch, billigem Fusel, Erbrochenem, Schweiß und Marihuana. Auf einmal kam mir mein Betonklotz gar nicht mehr so unwirtlich vor.
Jewel und der Barkeeper nickten sich gegenseitig zu. Die Haut des Mannes hatte eine Farbe wie abgestandener Kaffee. Er sah uns unter dichten Augenbrauen an und folgte jeder unserer Bewegungen.
Jewel ging langsam durch die Bar und sah jeden der wenigen Gäste mit offen zur Schau gestelltem Desinteresse an. Ein alter Mann, der am Ende des Tresen saß, winkte ihr mit einem Bierglas zu und bedeutete ihr, sie solle sich zu ihm setzen. Sie warf ihm einen Kuß zu, und er zeigte ihr den Stinkefinger.
Als wir an der ersten Nische vorbeigingen, schoß daraus eine Hand hervor und packte Jewel am Handgelenk. Sie blieb stehen, löste die Finger mit ihrer anderen Hand und legte den Arm des Mannes vor ihn auf den Tisch.
»Der Spielplatz ist heute zu, Kleiner.«
Ich steckte die Hände in die Taschen und fixierte meine Blicke auf Jewels aprikosenfarbene Frisur.
Jewel ging zur dritten Nische, verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte langsam den Kopf.
» Mon Dieu «, sagte sie und schnalzte mit der Zunge. In der Nische saß eine Frau, die die Ellenbogen auf den Tisch gestützt hatte und in ein Glas voll brauner Flüssigkeit starrte. Alles, was ich von ihr sehen konnte, war ihr Hinterkopf. Ich sah fettige schwarze Haare, die schlaff zu beiden
Weitere Kostenlose Bücher