Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
an mir vorbei aus der Wohnung in der Rue Berger gerannt war. Soweit ich es beurteilen konnte, ähnelten sich die beiden nicht allzu sehr, aber St. Jacques war damals viel zu unvermittelt aufgetaucht und viel zu schnell wieder verschwunden. Ganz ausschließen wollte ich es freilich nicht, daß es sich um ein und denselben Mann handelte. Nur eines konnte ich mit Sicherheit sagen: Der Mann vor mir bewegte sich nicht so rasch wie St. Jacques damals.
Zum dritten Mal innerhalb von drei Stunden bewegte ich mich durch den Irrgarten aus unbeleuchteten Seitenstraßen und blieb dabei dem Mann so dicht wie möglich auf den Fersen. Ich hoffte nur, daß er nicht wieder in irgendeine Kneipe gehen würde, denn vom Herumlungern in dunklen Durchgängen hatte ich die Schnauze gestrichen voll.
Ich hätte mir keine Sorgen machen müssen, denn nachdem er sich durch eine Reihe von kleinen Gassen geschlängelt hatte, bog der Mann noch einmal um die Ecke und ging direkt auf ein graues Haus zu. Es sah aus wie Hunderte solcher Häuser, an denen ich heute nacht vorbeigegangen war. Allerdings war es nicht ganz so heruntergekommen wie die anderen; seine Mauern waren nicht ganz so schmutzig und seine Eingangstüren nicht ganz so verwittert.
Der Mann stieg rasch die Stufen der rostigen Eisentreppe hinauf, wobei seine Tritte metallisch hart durch die leere Straße hallten. Dann verschwand er in einer mit Schnitzwerk verzierten Tür im ersten Stock, neben der kurz darauf das Licht in einem Fenster anging. Hinter den schlaff herunterhängenden Gardinen sah ich, wie sich ein Schatten durchs Zimmer bewegte.
Ich ging auf die andere Straßenseite und wartete. Diesmal gab es keinen Durchgang, in dem ich mich hätte verstecken können.
Die Gestalt bewegte sich noch eine Weile durchs Zimmer, dann verschwand sie.
Da wohnt er, Brennan. Und jetzt nichts wie weg hier.
Aber er könnte auch jemanden besuchen oder etwas abliefern.
Nein. Du hast ihn. Jetzt geh nach Hause.
Ich sah auf meine Uhr. Es war zwanzig Minuten nach elf, also noch immer ziemlich früh. Ich beschloß, noch zehn Minuten zu warten.
Noch vor Ablauf dieser Zeit tat sich etwas oben in der Wohnung. Die Gestalt erschien am Fenster und schob es nach oben. Kurz drauf ging das Licht aus. Der Mann war ins Bett gegangen!
Ich wartete noch fünf Minuten, ob er nicht doch noch einmal ausging, aber dann war ich mir meiner Sache sicher. Jetzt konnten Ryan und die anderen den Fall übernehmen.
Ich notierte mir die Adresse und machte mich auf den Rückweg zu meinem Wagen, wobei ich mich fragte, ob ich ihn wohl jemals wieder finden würde. Die Luft war noch immer bleischwer und die Hitze fast so stark wie am Nachmittag. Über den Dächern der dunklen Häuser, an denen ich vorbeieilte, leuchtete der Himmel vom Neonlicht des Boulevard St. Laurent.
Ich fand meinen Wagen und fuhr heim. Als ich das Garagentor öffnete, verkündete die Uhr am Armaturenbrett, daß es genau Mitternacht war. Da sage mal einer, daß ich keine Fortschritte machte. Heute war ich sogar schon vor Anbruch der Morgendämmerung zu Hause.
Zunächst bekam ich das Geräusch nicht mit. Erst als ich an der Haustür war und nach meinem Schlüssel suchte, drang es langsam in mein Bewußtsein. Es war ein hohes Piepen, das vom Garagentor kam.
Ich ging in die Richtung des rhythmisch pulsierenden Geräusches, das immer lauter und aufdringlicher wurde, je mehr ich mich ihm näherte. Schließlich sah ich, daß es von einer Tür neben der Tiefgarageneinfahrt kam. Obwohl die Tür aussah, als wäre sie zu, war offenbar das Schloß nicht richtig eingeschnappt und hatte den Alarm ausgelöst. Als ich es fest zudrückte, hörte das Geräusch abrupt auf, und die Garage war auf einmal totenstill. Ich nahm mir vor, am nächsten Tag Winston darauf hinzuweisen.
Nach all den Stunden voller Hitze und Schmutz kam mir meine Wohnung wie eine kühle Oase der Sauberkeit vor. Eine Weile blieb ich im Gang stehen und ließ die von der Klimaanlage gekühlte Luft über meine heiße Haut streichen. Birdie rieb sich an meinen Füßen, machte einen Buckel und begrüßte mich mit lautem Schnurren. Ich sah hinunter zu ihm. Seine weichen, weißen Haare klebten an meinen verschwitzten Waden. Ich streichelte ihn, gab ihm etwas zu essen und hörte den Anrufbeantworter ab. Ein Anrufer hatte eingehängt, ansonsten war nichts drauf.
Als ich unter der Dusche stand und mich immer wieder einseifte, ließ ich die Ereignisse dieser Nacht in Gedanken noch einmal Revue passieren. Was
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