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Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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kam Julie in Bustier, Minirock und bis über die Knie reichenden Stiefeln aus dem Haus. Ihr Gesicht, ihr Bauch und ihre Oberschenkel leuchteten weiß im Licht der Straßenbeleuchtung. Ich versteckte mich, so gut es ging, hinter meinem Laternenpfahl.
    Julie blieb einen Augenblick lang mit um den Bauch geschlungenen Armen stehen und hob das Kinn, als schnuppere sie hinaus in die Nacht. Dann eilte sie die Stufen der Veranda hinab und entfernte sich rasch in Richtung Rue Ste. Catherine. Ich folgte ihr und versuchte, sie im Blickfeld zu behalten und gleichzeitig nicht von ihr bemerkt zu werden.
    An der Ecke überraschte sie mich damit, daß sie nach links abbog und sich damit von der Main entfernte. Gut, daß ich nicht am Granada auf sie gewartet hatte. Aber wo wollte sie hin?
    Raschen Schrittes schlängelte sie sich mit wippenden Stiefelschäften durch die Menge und scherte sich nicht um die aufdringlichen Zurufe und Pfiffe der Männer. Sie war ziemlich gut im Durchschlängeln, so daß ich einige Mühe hatte, mit ihr Schritt zu halten.
    Dann wurden die Straßen langsam leerer, und die Gegend veränderte ihr Gesicht. Jetzt kamen uns gestylte Männer mit gefärbten Haaren entgegen und andere, die ihre durchtrainierten Körper in Muskelshirts und knallengen Jeans zur Schau stellten. Männerpaare schlenderten Arm in Arm die Gehsteige entlang, und ab und zu sah ich einen grell geschminkten Transvestiten. Wir waren im Schwulenviertel.
    Julies Weg – und damit auch meiner – führte an Cafés, Buchhandlungen und kleinen Restaurants vorbei. Zuerst ging sie nach Norden, dann bog sie nach Osten ab und schließlich nach Süden, bis sie in eine Sackgasse mit alten Lagerhäusern und verfallenden Holzgebäuden kam. Viele Fenster waren mit Wellblech vernagelt. Einigen Häusern sah man es noch an, daß sie im Erdgeschoß einmal kleine Läden beherbergt hatten. Jetzt allerdings hatte sich bestimmt seit Jahren kein Kunde mehr in diese Straße verirrt. Mit ihren zugemüllten Rinnsteinen hätte sie ein gutes Bühnenbild für den Bandenkrieg der Jets und der Sharks im Musical West Side Story abgegeben.
    Julie ging zielsicher auf einen Hauseingang zu. Sie öffnete eine schmiedeeiserne Tür mit verschmutzten Glasscheiben, sprach einen Moment mit jemandem und verschwand im Haus. Durch ein Fenster rechts daneben, das ebenfalls vergittert war, konnte ich eine Bierreklame sehen, und über der Tür hing ein Schild mit der schlichten Aufschrift: Bière et Vin.
    Was nun? Gab es über dieser Kneipe vielleicht ein Zimmer, in dem Julie dem Nachthemd-Freak ihre Dienste erwies? Oder war hier der Ort, an dem sie sich trafen, um dann gemeinsam woanders hinzugehen? Sollte mein Plan erfolgreich sein, dann mußte letzteres zutreffen. Wenn die beiden diese Bar getrennt verließen, war er gescheitert, denn dann wüßte ich ja nicht, welchem Mann ich folgen sollte.
    Weil ich mich nicht einfach vor die Kneipe stellen und warten konnte, bis Julie und ihr Freier wieder herauskamen, schaute ich mich um und entdeckte eine dunkle Lücke zwischen den Häusern auf der anderen Straßenseite. War das eine kleine Gasse? Ich überquerte die Straße und sah, daß es ein Durchgang zwischen einem aufgelassenen Friseurgeschäft und einem Lagerhaus war. Er war nicht viel breiter als einen halben Meter und dunkel wie eine Gruft.
    Mit klopfendem Herzen trat ich in den Durchgang und drückte mich mit dem Rücken an die Wand. Ich nahm Deckung hinter der gesprungenen, rotweißen Reklamesäule des Friseurladens, die noch immer aus der Hauswand in den Durchgang ragte. Etliche Minuten vergingen. Die einzige Bewegung war das Heben und Senken meiner Brust. Auf einmal aber schreckte mich ein Rascheln auf. Ich war nicht allein in dem Durchgang. Ich wollte gerade losrennen, als sich ein dunkler Fleck aus dem Unrat zu meinen Füßen löste und weiter in den Durchgang hineinrannte. Mir schnürte sich der Brustkorb zusammen, und abermals lief mir trotz der Wärme ein kalter Schauder den Rücken hinunter.
    Ruhig bleiben, Brennan, das war doch nur eine Ratte. Nun komm schon, Julie!
    Als hätte sie meine Aufforderung gehört, erschien Julie in der Kneipentür. Bei ihr war ein Mann in einem dunklen Sweatshirt, auf dessen Brust L’Université de Montréal stand. Er trug eine Papiertüte unter dem Arm.
    Mein Herz schlug noch schneller. Ist er das? Ist es der Mann von dem Geldautomatenphoto? Der Mann, der aus der Wohnung in der Rue Berger geflüchtet war? Ich strengte die Augen an, um das Gesicht

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