Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
dem kann man wenigstens etwas erkennen.«
Ich wollte schon sagen, daß die Amateuraufnahmen von der Ermordung John F. Kennedys eigentlich ein Acht-Millimeter-Film waren, hielt mich aber zurück. Dann sah ich, wie ein ganz leichtes Zwinkern über seine Augenlider huschte.
»Was ist?«
»Naja…« Er starrte noch einmal auf das Photo.
»Ja?«
»Der Kerl sieht ein bißchen aus wie das Arschgesicht, das mich im Stich gelassen hat. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, weil Sie mich mit Ihren Fragen wieder daran erinnert haben. Verdammt, ich weiß es nicht.« Er warf das Bild vor mich auf die Theke. »Und jetzt muß ich den Laden zusperren.«
»Was meinten Sie damit, daß er Sie im Stich gelassen hat? Und wann war das?«
»Deshalb war ich doch so sauer auf Grace. Erst hört der Bursche, den ich vor ihr eingestellt hatte, von einem Tag auf den anderen auf zu arbeiten. Dann kreuzt Grace eines Tages nicht mehr auf und kurz darauf dieser andere Typ. Er und Grace waren Teilzeitkräfte, aber sie waren die einzigen Hilfen, die ich damals hatte. Mein Bruder war in den Staaten, und so mußte ich das ganze Jahr die Metzgerei alleine fuhren.«
»Wie hieß der Mann?«
»Fortier, glaube ich. Und der Vorname war… Leo. Leo Fortier. Ich erinnere mich daran, weil einer meiner Cousins auch Leo heißt.«
»Und er hat hier gearbeitet, als auch Grace Damas bei Ihnen war?«
»Ja. Ich habe ihn als Ersatz für den Mann eingestellt, der kurz vor Graces Anstellung gekündigt hatte. Ich dachte mir, daß ich mit zwei Halbtagskräften genauso auskommen könnte wie mit einer Vollzeitkraft. Und wenn eine von beiden mal nicht käme, würde ich wenigstens nur einen halben Tag allein im Laden stehen. Aber dann ließen mich beide fast gleichzeitig im Stich. Tabernac, was für eine Katastrophe! Fortier war vielleicht eineinhalb Jahre bei mir gewesen und ist von einem Tag auf den anderen einfach nicht mehr gekommen. Hat mir bis heute noch nicht seinen Schlüssel zurückgegeben. Ich mußte damals praktisch bei Null wieder anfangen. Das möchte ich nicht noch einmal mitmachen.«
»Was können Sie mir über ihn erzählen?«
»Ganz einfach: Nichts. Er sah mein Schild, kam rein und wollte einen Halbtagsjob. Weil ich gerade jemanden zum Fleischschneiden und zum Saubermachen brauchte, stellte ich ihn ein. Er sagte, er habe Erfahrung im Umgang mit Fleisch, und er war auch wirklich ziemlich gut darin. Also habe ich ihn eingestellt. Tagsüber hatte er noch einen anderen Job. Ich fand, daß er in Ordnung war. Stiller Typ. Er hat seine Arbeit getan und nie den Mund aufgemacht. Ich wußte nicht einmal, wo er wohnte.«
»Wie ist er denn mit Grace ausgekommen?«
»Keine Ahnung. Er war immer schon weg, wenn sie kam, und er fing wieder zu arbeiten an, als sie schon wieder zu Hause war. Ich weiß nicht einmal, ob sie sich überhaupt kannten.«
»Und Sie glauben, daß der Mann auf dem Bild aussieht wie Fortier?«
»Oder wie ein anderer Mann mit ziemlichen Haarproblemen.«
»Wissen Sie, wo Fortier jetzt ist?«
Er schüttelte den Kopf
»Sagt Ihnen der Name St. Jacques etwas?«
»Nein.«
»Oder Tanguay?«
»Klingt wie eine Bräunungscreme für Schwule.«
Mein Kopfweh wurde immer schlimmer, und mein Hals tat richtig weh. Ich gab Plevritis meine Karte und ging.
38
Als ich nach Hause kam, wartete vor meiner Tür ein stocksaurer Ryan auf mich. Er schimpfte gleich los.
»Sie wollen einfach nicht auf mich hören, oder? Sie halten sich wohl für einen dieser Indianer, die irgendeinen seltsamen Tanz auffuhren und sich dann für unverwundbar halten, stimmt’s?«
Sein Gesicht war ganz rot, und an seiner Schläfe sah ich eine kleine Ader zucken. Ich hielt es für nicht besonders klug, etwas zu meiner Verteidigung vorzubringen.
»Wessen Wagen haben Sie benützt?«
»Den von meiner Nachbarin.«
»Sie finden das wohl auch noch lustig, Brennan.«
Ich sagte nichts. Das Kopfweh hatte sich vom Hinterkopf bis zur Stirn ausgebreitet, und ein trockener Husten sagte mir, daß mein Immunsystem ungebetene Gäste hatte.
»Gibt es irgend jemanden auf diesem Planeten, der Sie zur Vernunft bringen kann?«
»Wollen Sie nicht reinkommen und einen Kaffee mit mir trinken?«
»Wieso stehlen Sie sich in einem geliehenen Wagen aus der Garage und lassen meine Leute in die Röhre gucken? Die stehen schließlich nicht zum Vergnügen da draußen und passen auf Sie auf, Brennan. Warum haben Sie denn nicht mich angerufen?«
»Das habe ich. Sie waren nicht da.«
»Hätten
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