Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
zusammenbrechen und gestehen.«
Als Ryan gegangen war, nahm ich eine hohe Dosis Erkältungsmittel und schlief zum ersten Mal seit Wochen tief und fest. Wenn ich etwas träumte, so erinnere ich mich nicht mehr daran.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich besser, aber noch nicht gut genug, um ins Labor zu gehen. Allerdings hätte ich auch bei voller Gesundheit an diesem Tag nicht gearbeitet. Außer Birdie wollte ich niemanden sehen.
Um mich abzulenken, las ich Seminararbeiten meiner Studenten und erledigte meine seit Wochen vernachlässigte Korrespondenz. Ryan rief gegen ein Uhr an, als ich gerade Wäsche aus dem Trockner nahm. Der Klang seiner Stimme verriet mir, daß die Dinge nicht zum besten standen.
»Die Spurensicherung hat Tanguays Hütte auf den Kopf gestellt und überhaupt nichts gefunden. Keine Messer, keine Schußwaffen. Kein Schmuck, keine Kleidung, keine Schädel oder andere Körperteile. Nur ein totes Eichhörnchen in der Tiefkühltruhe. Das war’s. Der Rest ist Schweigen.«
»Irgendwelche Anzeichen dafür, daß er etwas vergraben hat?«
»Keine.«
»Gibt es einen Keller oder Werkzeugschuppen, wo er Sägen oder alte Messer hat?«
»Rechen, Harken, Holzkisten, eine alte Kettensäge, ein kaputter Schubkarren. Ganz normale Gartengeräte. Und genügend Spinnen, um einen kleinen Planeten damit zu besiedeln. Gilbert ist völlig mit den Nerven fertig.«
»Was hat das Luminol ergeben?« fragte ich deprimiert.
»Nichts.«
»Zeitungsausschnitte?«
»Nein.«
»Gibt es irgend etwas, das die Hütte mit der Wohnung in der Rue Berger in Verbindung bringt?«
»Nein.«
»Mit St. Jacques?«
»Nein.«
»Mit Gabby?«
»Nein.«
»Mit irgendeinem der Opfer?«
Ryan gab keine Antwort.
»Was meinen Sie, was er dort draußen macht?«
»Fischen und über seine verlorenen Eier nachdenken.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Jetzt werden Bertrand und ich erst mal ein langes Gespräch mit Monsieur Tanguay fuhren. Es ist Zeit, ihn mit ein paar Namen zu konfrontieren und ihm Feuer unter dem Arsch zu machen. Ich glaube immer noch, daß er gestehen wird.«
»Ergibt das alles einen Sinn für Sie?«
»Vielleicht. Möglicherweise ist Bertrands Idee doch nicht so schlecht und Tanguay ist wirklich eine von diesen gespaltenen Persönlichkeiten. Ein Teil von ihm ist der Biologielehrer, der ein ordentliches Leben führt, zum Angeln geht und Tierskelette für seine Studenten präpariert, der andere fühlt sich sexuell minderwertig und findet deshalb seine Befriedigung darin, daß er Frauen verfolgt, sie zu Tode prügelt und verstümmelt. Vielleicht hält er die beiden Persönlichkeiten streng getrennt und hat deshalb noch irgendwo einen Unterschlupf, wo seine perverse Hälfte ihren Phantasien nachgehen kann. Vielleicht weiß Tanguay nicht einmal, daß er verrückt ist.«
»Nicht schlecht. Mr. Peepers und Mr. Creeper.«
»Wer?«
»Ach, das sind bloß Figuren aus einer alten Fernsehserie.« Ich erzählte Ryan, was Lacroix und ich über die Handschuhe herausgefunden hatten.
»Warum haben Sie mir das nicht früher gesagt?«
»Weil ich Sie nie erreicht habe, Ryan.«
»Das bedeutet, daß die Wohnung in der Rue Berger doch etwas mit den Morden zu tun hat.«
»Natürlich. Wieso glauben Sie, daß wir dort keine Fingerabdrücke gefunden haben?«
»Verdammt, Brennan, ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Vielleicht ist dieser Tanguay noch viel durchtriebener als wir dachten. Aber Claudel hat schon etwas gegen ihn in der Hand, falls Ihnen das ein Trost sein sollte.«
»Was denn?«
»Das soll er Ihnen selbst sagen. Ich muß jetzt los.«
»Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
Ich beendete meine Korrespondenz und beschloß, die Briefe zur Post zu bringen. Dann sah ich in meinen Kühlschrank. Die Koteletts und das Rindfleisch waren nichts für Katy. Lächelnd erinnerte ich mich an den Tag, an dem sie verkündet hatte, daß sie von nun an kein Fleisch mehr essen wolle. Damals hatte ich meiner vierzehnjährigen Vegetarierin gerade mal drei Monate gegeben. Mittlerweile waren fünf Jahre daraus geworden.
Weil mein Halsweh wieder da war, beschloß ich, noch am Fitneß-Studio vorbeizufahren. Ich würde den Bazillen mit körperlicher Anstrengung und einem Besuch im Dampfbad das Leben zur Hölle machen. Mal sehen, wer eher schlappmachte – ich oder diese kleinen Mistkerle.
Daß der Sport doch keine so gute Idee war, merkte ich, als mir nach zehn Minuten auf der Treppensteigmaschine die Beine zitterten und der Schweiß aus
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