Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
»Hören Sie, wir müssen jetzt wirklich…«
»Meinen Sie nicht, Sie sollten mal nachsehen, was sich dort befindet?«
Er sah mich lange an, bevor er antwortete. Seine Augen leuchteten so blau wie eine Neonreklame, und ich wunderte mich, daß mir das bisher noch nicht aufgefallen war. Dann schüttelte er langsam den Kopf.
»Irgendwie paßt das alles noch nicht zusammen. Im Augenblick hat Ihre Serienmörder-Theorie mehr Löcher als ein Schweizer Käse. Füllen Sie die erst einmal auf. Bringen Sie mir mehr Beweise, oder sorgen Sie dafür, daß Claudel ein offizielles Amtshilfegesuch an die Sûreté richtet. Ansonsten ist die Geschichte nicht unser Bier.«
Bertrand tippte auf seine Uhr und deutete mit dem Daumen in Richtung Tür. Ryan sah seinen Kollegen an, nickte und wandte seine blauen Neonaugen wieder mir zu.
Ich sagte nichts. Meine Blicke glitten über sein Gesicht und suchten nach einem Anzeichen von Aufmunterung. Falls eines da war, konnte ich es nicht entdecken.
»Ich muß jetzt wirklich gehen. Wenn Sie mit der Akte fertig sind, legen Sie sie mir einfach auf den Tisch.«
»Mache ich.«
»Und… äh… halten Sie die Ohren steif.«
»Wie bitte?«
»Ich habe gehört, daß Sie am Freitag in der Rue Berger Ihr Bild gefunden haben. Dieser Kerl könnte vielleicht gefährlicher sein als ein normaler Verbrecher.« Er griff in seinen Jackettasche, nahm eine Visitenkarte heraus und schrieb etwas darauf. »Unter dieser Nummer können Sie mich jederzeit erreichen. Rufen Sie mich an, wenn Sie Hilfe brauchen.«
Zehn Minuten später saß ich frustriert und nervös zugleich an meinem Schreibtisch. Ich versuchte, mich auf andere Dinge als die Morde zu konzentrieren, aber es war vergebens. Jedes Mal, wenn in einem der Büros draußen im Korridor ein Telefon läutete, griff ich nach dem meinen in der Hoffnung, daß Claudel oder Charbonneau an der Strippe sein könnten. Um viertel nach zehn rief ich wieder bei ihnen an.
»Bitte warten Sie«, sagte eine Stimme. Dann:
»Claudel.«
»Ich bin’s, Dr. Brennan«, sagte ich.
Die Stille war so tief, daß man darin hätte tauchen können.
» Oui .«
»Haben Sie meine Mitteilung bekommen?«
» Oui .«
Claudel war so entgegenkommend wie ein Schnapsschmuggler gegenüber einem Zollbeamten.
»Ich wollte nur fragen, was Sie über St. Jacques herausbekommen haben.«
Claudel schnaubte ins Telefon. »Ach so. St. Jacques. Stimmt.«
Obwohl ich am liebsten durch die Telefonleitung gegriffen und ihm die Zunge herausgerissen hätte, beschloß ich, es mit Höflichkeit zu versuchen. Das ist die Regel Nummer eins im Umgang mit arroganten Polizeibeamten.
»Sie glauben doch nicht etwa, daß das sein wirklicher Name ist?«
»Wenn der St. Jacques heißt, dann heiße ich Margaret Thatcher«, knurrte Claudel.
»Was haben Sie also in seiner Wohnung noch gefunden?«
Claudel machte wieder eine Pause, und ich konnte direkt sehen, wie er die Augen verdrehte und sich überlegte, wie er mich am schnellsten wieder los wurde.
»Ich will Ihnen sagen, was wir gefunden haben. Gar nichts haben wir gefunden. Nicht einen Furz. Keine blutige Waffe, keine selbstgedrehten Videos, kein Tagebuch, kein Geständnis, keine als Souvenirs abgeschnittenen Körperteile. Nichts.«
»Fingerabdrücke?«
»Keine brauchbaren.«
»Persönliche Dinge?«
»Der Typ hat einen etwas kargen Geschmack. Nein, nichts Persönliches. Keine Kleider. Halt, das stimmt nicht ganz. Ein Sweatshirt haben wir gefunden und einen alten Gummihandschuh. Und eine schmutzige Decke. Das war’s dann aber auch schon.«
»Wozu hat er den Handschuh gebraucht?«
»Vielleicht macht er sich Sorgen wegen seiner Fingernägel?«
»Haben Sie denn überhaupt etwas Brauchbares gefunden?«
»Nichts, was Sie nicht schon gesehen hätten. Seine Sammlung von Zeig-mir-deine-Muschi-Bildern, den Stadtplan, die Zeitungen, die Zeitungsausschnitte und die Liste. Und ein paar leckere Dosenspaghetti. Die hätte ich um ein Haar vergessen.«
»Sonst nichts?«
»Nein, nichts.«
»Wie steht es mit Kosmetikartikeln?«
»Nada.«
Ich dachte einen Augenblick nach.
»Klingt nicht so, als ob er wirklich dort wohnen würde.«
»Wenn er das tut, dann ist er der größte Schmutzfink, den ich je gesehen habe. Er putzt sich weder die Zähne, noch rasiert er sich. Keine Seife, kein Shampoo, keine Zahnseide.«
»Und wie beurteilen Sie das?«
»Es könnte sein, daß unser kleiner Perversling das Zimmer als eine Art Versteck benützt, um dort seiner Vorliebe für
Weitere Kostenlose Bücher