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Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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stand vielleicht ein aufgelassenes Kloster oder etwas Ähnliches. Die Provinz Quebec war voll davon.
    Okay, Brennan, sagte ich mir. Du bist Katholikin, und als solche genießt du auf einem Grundstück, das der Kirche gehört, besonderen Schutz von ganz oben. Dieser Anflug von Religiosität, der da zusammen mit Adrenalinschüben und düsteren Vorahnungen in mir aufstieg, überraschte mich.
    Ich steckte die Taschenlampe wieder in den Hosenbund, packte die Kette mit der rechten und eine der rostigen Eisenstangen des Tores mit der linken Hand. Als ich an der Kette reißen wollte, gab sie ohne größeren Widerstand nach und rutschte Glied für Glied über mein Handgelenk wie eine Schlange, die sich von einem Ast gleiten läßt. Ich ließ das Tor los und zog mit beiden Händen an der Kette. Es gelang mir nicht, sie vollständig herauszuziehen, denn das Vorhängeschloß verkeilte sich zwischen den Stäben des Tores. Es hing noch am letzten Kettenglied, aber es war offen.
    Ich entfernte das Schloß und zog den Rest der Kette zwischen den Stäben heraus. Dann stand ich mit Kette und Schloß in Händen eine Weile da und starrte in die Dunkelheit. Inzwischen hatte sich der Wind gelegt und war einer beunruhigenden Stille gewichen, die mir in den Ohren zu dröhnen schien.
    Nachdem ich die Kette an den rechten Flügel des Tores gehängt hatte, zog ich den linken in meine Richtung. Ohne das Heulen des Windes kam mir das Kreischen der rostigen Angeln schrecklich laut vor. Kein anderes Geräusch durchdrang die Stille. Kein Froschquaken. Kein Grillenzirpen. Keine weit entfernten Pfiffe einer Lokomotive. Es war, als hielte das Universum den Atem an und warte darauf, was das Gewitter als nächstes tun würde.
    Ich betrat das Grundstück und schloß das Tor hinter mir. Dann ging ich mit knirschenden Schritten einen Kiesweg entlang und ließ den Strahl der Taschenlampe abwechselnd auf das Dickicht rechts und links davon wandern. Nach zehn Metern blieb ich stehen und leuchtete nach oben. Über dem Weg spannte sich ein dichtes, von keinem Windhauch bewegtes Blätterdach.
    Hansel und Gretel verliefen sich im Wald… Toll. Jetzt fing ich schon mit Kinderliedern an. Ich zitterte vor Anspannung und hatte das Gefühl, als hätte ich genügend Kraft in mir gespeichert, um dem gesamten Pentagon einen neuen Anstrich zu verpassen. Gib acht, daß du nicht durchdrehst, Brennan, warnte ich mich. Denk an Claudel. Nein, denk an Gagnon und Trottier und Adkins.
    Ich drehte mich nach rechts und leuchtete mit der Taschenlampe die Bäume am Wegrand ab. Sie standen einer hinter dem anderen, so weit der Lichtstrahl reichte, aber als ich dasselbe auf der linken Seite tat, entdeckte ich einige Meter vor mir eine schmale Lücke.
    Ich hielt das Licht unverwandt auf diese Lücke gerichtet und ging vorsichtig darauf zu. Als ich näherkam, sah ich, daß es sich gar nicht um eine Lücke zwischen den Bäumen handelte, die hier in genau denselben Abständen gepflanzt worden waren wie die auf der anderen Seite des Weges. Trotzdem sah die Stelle irgendwie anders aus. Schließlich fiel mir auf, woran das lag. Es waren nicht die Bäume, sondern das Unterholz. Hier war der Boden nicht ganz so dicht mit Ranken und Buschwerk bedeckt wie an den anderen Stellen. Es sah aus wie eine Rodung, die langsam wieder zuwuchs.
    Diese Pflanzen sind jünger als die anderen, dachte ich. Ich leuchtete in alle Richtungen. Die neue Vegetation schien sich auf einen schmalen Streifen zu begrenzen, der sich wie ein kleiner Bach zwischen die Bäume schlängelte. Oder wie ein Pfad. Ich schloß die Finger fester um die Taschenlampe und ging los. Beim ersten Schritt fort vom Hauptweg brach das Gewitter los.
    Der leichte Regen ging urplötzlich in einen wahren Wolkenbruch über, und der Wind fuhr in die Bäume und ließ ihre Äste flattern wie Papierdrachen. Blitze zuckten, gefolgt von krachenden Donnerschlägen. Der Wind war jetzt so stark, daß er den Regen fast horizontal vor sich hertrieb.
    In kürzester Zeit waren meine Haare und Kleider patschnaß. Das Wasser rann mir übers Gesicht, so daß ich nur noch verschwommen sehen konnte, und brannte in der Schürfwunde an meiner Wange. Ich blinzelte, schob die Haare hinter die Ohren und fuhr mir mit der Hand über die Augen. Dann zog ich einen Hemdzipfel aus dem Hosenbund und hielt ihn über die Taschenlampe, um sie vor dem Regen zu schützen. Mit eingezogenen Schultern arbeitete ich mich langsam auf dem Pfad voran und schaute dabei nur auf den

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