Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
langsam vorwärts zu tasten. Äste verfingen sich in meinem Haar und meinen Kleidern, und irgendwelche Ranken wickelten sich mir um die Beine.
Das ist nicht der Weg, Brennan. Dazu ist dieses Gestrüpp viel zu dicht.
Unschlüssig, wohin ich mich wenden sollte, ging ich langsam weiter, bis einer meiner Füße auf einmal nur noch Luft unter sich spürte. Sekundenbruchteile später schlug ich zu Boden. Meine Füße steckten in einem nicht allzu tiefen Loch, mit Oberkörper und Armen lag ich auf der feuchten Erde. Die Taschenlampe war mir aus der Hand geglitten und hatte sich von dem Aufprall von selbst wieder eingeschaltet. Weil sie sich in der Luft gedreht hatte, schien sie mir jetzt mit ihrem gelblichen Licht direkt ins Gesicht.
Mit klopfendem Herzen krabbelte ich aus dem Loch und kroch auf allen Vieren hinüber zu der Taschenlampe. Als ich ihren Strahl auf die Stelle richtete, an der ich hingefallen war, entdeckte ich ein kleines, frisch ausgehobenes Erdloch. Ich leuchtete mit der Taschenlampe hinein und sah, daß es etwa sechzig Zentimeter Durchmesser und eine Tiefe von einem knappen Meter hatte. Als ich einen Fuß an den Rand stellte, fiel etwas Erde hinab. Wie Erdnüsse in eine Schale, dachte ich.
Ich blickte hinab auf das Häufchen Erde, das sich am Boden des Lochs gebildet hatte. Irgend etwas daran kam mir seltsam vor. Zunächst wußte ich nicht, was es war, aber dann erkannte ich es. Die Erde war viel zu trocken. Sogar meinem lädierten Gehirn war schlagartig klar, was das bedeutete. Dieses Erdloch mußte entweder während des Gewitters abgedeckt gewesen sein, oder jemand hatte es erst nach dem Regen ausgehoben.
Unwillkürlich begann ich wieder stärker zu zittern. Ich schlang die Arme um die Brust, aber davon wurde mir auch nicht warm. Ich war immer noch völlig durchnäßt, und das Gewitter hatte die Luft merklich abgekühlt. Dadurch, daß ich die Arme verschränkte, leuchtete auch die Taschenlampe nicht mehr hinunter in das Loch. Also ließ ich die Arme wieder sinken und richtete den Lichtstrahl wieder in die Grube. Warum sollte jemand…
Und dann traf mich die wirklich entscheidende Frage wie ein Schlag in die Magengrube. Wer? Wer war hierhergekommen und hatte dieses Loch gegraben? Was hatte er dort hineintun wollen oder herausgeholt? War er vielleicht noch hier? Diese Frage riß mich aus meiner Lethargie. Ich wirbelte herum und leuchtete rings um mich das Gebüsch ab. Dabei schlug mein Herz gleich dreimal so schnell wie vorhin, und mein Kopfschmerz wallte auf wie ein kochender Geysir.
Ich weiß heute noch nicht, was ich erwartet hatte, in dem Gebüsch zu sehen. Einen geifernden Dobermann? Norman Bates mit seiner Mutter? Hannibal Lecter? Oder den lieben Gott, der aussah wie George Burns mit einer Baseballmütze auf dem Kopf? Ich sah nichts von alledem. Nur Bäume, dornige Ranken und von Sternen durchlöcherte Dunkelheit.
Eines allerdings fand ich: den Pfad. Auf ihm ging ich erst einmal zurück zum Müllsack und häufte etwas feuchtes Laub darüber. Mit dieser notdürftigen Tarnung konnte ich zwar nicht den Menschen täuschen, der den Sack hier verbuddelt hatte, aber wenigstens war er nicht mehr so auffällig.
Als ich mit meiner Aktion fertig war, nahm ich die Dose mit dem Mückenspray und steckte sie als eine Art Markierung in eine Astgabel des nächsten Baumes. Dann ging ich wieder den Pfad entlang. Ich war so schwach auf den Beinen, daß ich ständig über Wurzeln und Äste stolperte oder an Ranken und Schlingpflanzen hängenblieb und nur in Zeitlupe vorankam.
Als der Pfad wieder auf den gekiesten Fahrweg stieß, markierte ich zwei Astgabeln rechts und links von der Einmündung mit meinen Gartenhandschuhen und machte mich auf den Weg zum Tor. Mir war schlecht, und ich hatte Angst, vor lauter Erschöpfung ohnmächtig zu werden. Bald würde das Adrenalin in meinem Organismus aufgebraucht sein, und dann würde ich zusammenklappen. Bis es so weit war, mußte ich mich in Sicherheit gebracht haben.
Mein alter Mazda stand noch immer dort, wo ich ihn abgestellt hatte. Ohne nach rechts oder links zu schauen, stolperte ich quer über die Straße auf ihn zu und machte mir dabei keine Gedanken, ob dort vielleicht jemand auf mich wartete. Weil ich kaum mehr Gefühl in den Händen hatte, dauerte es eine ganze Weile, bis ich den Schlüsselbund aus meiner Hosentasche gefischt hatte. Als ich ihn endlich in der Hand hielt, ärgerte ich mich darüber, daß sich daran alle meine Schlüssel befanden, denn so mußte
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