Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
hingefallen? Hatte mich ein herabstürzender Ast getroffen? Obwohl der Sturm ziemlich gewütet hatte, konnte ich rings um mich am Boden keine größeren Äste entdecken. Ich wußte nicht, was geschehen war, aber es kümmerte mich auch nicht sonderlich. Ich wollte nur so rasch wie möglich fort von hier.
Ich kämpfte gegen meine Übelkeit an und suchte auf allen vieren nach meiner Taschenlampe. Als ich sie endlich halb im Schlamm vergraben gefunden hatte, wischte ich sie sauber und schaltete sie ein. Zu meinem Erstaunen funktionierte sie noch. Trotz des heftigen Zitterns gelang es mir, mich aufzurichten. Mein Kopf schmerzte so sehr, als würden Feuerwerkskörper darin explodieren. Ich hielt mich an einem Baumstamm fest und spuckte noch mehr Magensäure auf den Boden.
Der üble Geschmack in meinem Mund löste eine Reihe weiterer Fragen aus. Wann hatte ich das letzte Mal etwas gegessen? Diesen Abend? Vergangenen Abend? Wie spät war es überhaupt? Wie lange hatte ich hier gelegen? Das Gewitter war vorüber, und die Sterne schienen. Es war immer noch Nacht. Und mir war eiskalt. Mehr wußte ich nicht.
Als meine Magenkrämpfe schwächer wurden, richtete ich mich weiter auf und leuchtete mit der Taschenlampe auf der Suche nach dem Pfad den Boden ab. Der Lichtstrahl setzte einen neuen Schub von Erinnerungen in Bewegung. Der vergrabene Müllsack. Mit der Erinnerung kam die Angst. Ich faßte die Taschenlampe fester und drehte mich einmal um die eigene Achse, um sicherzugehen, daß niemand hinter mir stand. Dann dachte ich wieder an den Sack. Wo war er? Mein Gedächtnis konnte mir zwar das Aussehen des Sacks, aber nicht seinen Fundort einspielen.
Mit dröhnendem Kopf suchte ich zwischen der Vegetation nach dem Grab. Obwohl ich schon meinen gesamten Mageninhalt herausgekotzt hatte, quälte mich immer noch ein trockenes Würgen in meiner Kehle, das mir Seitenstechen verursachte und Tränen in die Augen trieb. Immer wieder mußte ich mich an einem Baum festhalten und warten, bis die Krämpfe vorüber waren. Dabei hörte ich, wie die Grillen sich für eine Nach-Gewitter-Session warmspielten. Ihr Zirpen fühlte sich in meinem Kopf an wie Kieselsteine, die mir durch die Ohren ins Gehirn gepreßt wurden.
Als ich den Müllsack schließlich fand, war er keine drei Meter von der Stelle entfernt, an der ich zu mir gekommen war. Obwohl ich so sehr zitterte, daß ich die Taschenlampe nicht ruhig halten konnte, erkannte ich, daß er noch genauso aussah, wie ich ihn gefunden hatte, nur daß der Regen ihn inzwischen noch mehr freigelegt hatte. Rings um den Sack stand das Wasser wie in einem Burggraben, und in seinen Plastikfalten hatten sich kleine Pfützen gebildet.
Weil ich körperlich nicht in der Lage war, den Sack zu öffnen, starrte ich ihn mit halb geschlossenen Augen an. Ich wußte, daß der Fundort genauestens untersucht werden mußte, aber ich hatte Angst, daß jemand mögliche Spuren verwischen oder gar den Sack entfernen könnte, bevor die Beamten von der Spurensicherung hier eintrafen. Vor lauter Verzweiflung hätte ich am liebsten laut losgeheult.
Das ist wirklich eine gute Idee, Brennan. Wein dich nur aus. Vielleicht hört dich ja jemand und hilft dir.
Ich richtete mich bebend vor Kälte und Gott weiß was sonst noch auf und versuchte nachzudenken. Aber meine Gehirnzellen wollten nicht, sie igelten sich ein und weigerten sich, einen klaren Gedanken zu fassen. Bis auf einen: Geh zu einem Telefon und hole Hilfe.
Ich suchte den überwachsenen Weg und tastete mich in Richtung Zufahrt. Zumindest hoffte ich, daß ich es tat. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wie ich in das Wäldchen hineingekommen war und hatte nur eine unklare Vorstellung davon, wo es wieder hinausging. Mein Orientierungssinn hatte sich ebenso verflüchtigt wie mein Kurzzeitgedächtnis. Dann gab auch noch ohne jede Vorwarnung die Taschenlampe ihren Dienst auf, und ich befand mich von einer Sekunde auf die andere in vom Sternenlicht nur ganz schwach erhellter Dunkelheit. Wildes Schütteln und Schlagen der Taschenlampe half ebensowenig wie lautes Fluchen.
»Verdammter Mist!« Wenigstens hatte ich es versucht.
Ich horchte auf irgendein Geräusch, das mir die Richtung weisen könnte, aber alles, was ich hörte, waren die Grillen, deren Zirpen von überallher kam. Daran konnte ich mich nicht orientieren.
Aber irgend etwas mußte ich schließlich tun, und so versuchte ich, kleine dunkle Pflanzen von größeren dunklen Pflanzen zu unterscheiden und mich
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