Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
Müllsäcke verteilt und an vier verschiedenen Stellen auf diesem Grundstück vergraben.« Ich deutete in Richtung auf das Gelände des ehemaligen Klosters. »Einen der Säcke habe ich bereits in der vergangenen Nacht entdeckt, die anderen drei haben wir heute morgen mit Hilfe des Hundes gefunden.«
Claudel biß von seinem Sandwich ab und sah hinüber zu den Bäumen.
»Und was fehlt?« fragte er mit einem Mund voll Schinken und Münsterkäse.
Ich starrte ihn wortlos an und fragte mich, weshalb ich mich über eine solche routinemäßige Frage so ärgerte. Es war nicht die Frage, beschloß ich, sondern Claudels Art. Innerlich redete ich mir gut zu, wie ich es in Bezug auf Claudel schon häufiger getan hatte. Mach dir nichts draus. Beachte ihn nicht. So ist er nun einmal. Dieser Mann ist ein Reptil. Herablassend und arrogant. Er weiß genau, daß du recht hattest mit deiner Serienmörder-Theorie. Inzwischen ist das sogar ihm klar geworden. Er wird zwar nicht sagen »eins zu null für Sie, Brennan«, aber innerlich nagt er schwer daran. Also sei zufrieden damit.
Als ich Claudel keine Antwort gab, wandte er seine Aufmerksamkeit von dem Sandwich ab und mir zu.
»Fehlt irgendwas?« fragte er noch einmal.
»Ja.«
Ich legte das Klemmbrett mit der Auflistung der Knochen ab und sah ihm direkt in die Augen. Claudel blinzelte zurück und kaute immer noch. Ich fragte mich, wieso er keine Sonnenbrille aufsetzte.
»Der Kopf.«
Er hörte auf zu kauen.
»Was?«
»Der Kopf fehlt.«
»Und wo ist er?«
»Wenn ich das wüßte, Monsieur Claudel, dann würde er ja wohl nicht fehlen, oder?«
Ich sah, wie Claudel die Zähne aufeinanderbiß und wußte, daß das nichts mit dem Kauen seines Sandwichs zu tun hatte.
»Sonst noch was?«
»Was meinen Sie mit ›sonst noch was‹?«
»Ob sonst noch etwas fehlt.«
»Nichts Wichtiges.«
Claudel schien an diesen Informationen mindestens ebenso herumzukauen wie an seinem Sandwich. Er biß noch einmal ab, knüllte das Zellophan zu einer kleinen Kugel zusammen und steckte es in die Tasche seines Jacketts. Dann wischte er sich mit den Zeigefingern die Mundwinkel ab.
»Mehr werden Sie mir wohl kaum erzählen?« Es war eher eine Feststellung als eine Frage.
»Erst wenn ich die Knochen untersucht habe, kann ich –«
»Verstehe«, unterbrach mich Claudel, machte auf dem Absatz kehrt und ging.
Leise vor mich hinfluchend zog ich die Reißverschlüsse der Leichensäcke zu, wobei der Hund jedesmal von dem Geräusch hochschreckte. Mit den Augen verfolgte er, wie ich das Klemmbrett in meinen Rucksack steckte und über die Straße zu einem dicken Angestellten unseres Labors ging. Ich sagte ihm, daß ich fertig sei, und daß sein Kollege und er die Säcke schon mal in den Wagen bringen und dann auf mich warten sollten.
In einiger Entfernung sah ich, wie Ryan und Bertrand mit Claudel und Charbonneau redeten. Mißtrauisch fragte ich mich, was die Detectives von der SQ mit denen von der CUM zu besprechen hatten. Was mochte Claudel wohl den anderen sagen? Verunglimpfte er mich etwa bei ihnen? Die meisten Polizisten verteidigen ihr Revier eifersüchtiger als Brüllaffen. Sie pochen auf ihre Zuständigkeit, lassen niemanden Einblick in ihre Fälle nehmen. Claudel war in dieser Hinsicht schlimmer als die anderen, aber warum hatte er es ausgerechnet auf mich abgesehen?
Vergiß es, Brennan, sagte ich mir. Er ist einfach ein blöder Hund, und daß du ihn vor seinen eigenen Leuten bloßgestellt hast, macht dich auch nicht gerade zur Nummer eins seiner persönlichen Hitparade. Und jetzt laß endlich deine Gefühle beiseite und kümmere dich um deinen Job. Übrigens tendierst auch du dazu, deine Fälle ganz für dich allein lösen zu wollen.
Als ich mich den vier Männern näherte, hörten sie schlagartig auf zu reden. Das nahm dem lockeren Auftritt, den ich geplant hatte, viel von seiner Nonchalance. Aber ich ließ mir nichts anmerken.
»Hi, Doc«, sagte Charbonneau.
Ich nickte ihm lächelnd zu und fragte: »Na, wie sieht’s aus?«
»Ihr Boß ist vor einer Stunde mit dem Pater abgezogen«, antwortete Ryan, »und die Spurensicherung packt gerade ihre Sachen ein.«
»Hat sie noch etwas gefunden?«
Er schüttelte den Kopf.
»Auch nicht mit dem Metalldetektor?«
»Nur genügend Kronkorken, um eine mittlere Brauerei damit zu versorgen.« Ryan klang genervt. »Ach ja, und Kleingeld für die Parkuhr haben wir jetzt auch. Und wie steht’s bei Ihnen?«
»Ich bin fertig. Eben habe ich die Säcke
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