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Tote Maedchen luegen nicht

Titel: Tote Maedchen luegen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Asher Knut Krueger
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abgedruckt worden war.
    Ryan wollte wissen, warum ich das Gedicht geschrieben hatte.
    In diesem Fall spricht das Gedicht für sich selbst, antwortete ich ihm. Doch wollte ich unbedingt wissen, wie er es verstand.
    Oberflächlich betrachtet, sagte er, ginge es um Akzeptanz. Darum, von meiner Mutter akzeptiert zu werden. Doch vor allem wolle ich ihr Einverständnis. Außerdem wünsche ich mir, von einem bestimmten Jungen nicht länger übersehen zu werden.
    Einem Jungen?
    Am Boden des Glases entsteht ein kleiner Wirbel. Ich trinke einen Schluck und lasse einen Eiswürfel in meinen Mund gleiten.
    Ich fragte ihn, ob er noch eine tiefere Bedeutung sehe.
    Ich behalte den Eiswürfel auf meiner Zunge. Er ist sehr kalt, doch ich will, dass er dort schmilzt.
    Eigentlich war das nur ein Scherz. Ich war meinem Gedicht
ja schon völlig auf den Grund gegangen. Doch ich wollte wissen, was ein Lehrer von seinen Schülern erwarten würde, wenn sie mein Gedicht interpretierten. Weil Lehrer es in dieser Hinsicht immer übertreiben.
    Und du hast sie gefunden, Ryan. Die verborgene Bedeutung, die nicht einmal ich in meinem Gedicht entdeckt habe.
    Es ginge gar nicht um meine Mutter oder einen Jungen, hast du gesagt, sondern um mich. Ich hätte mir selbst einen Brief geschrieben - getarnt als Gedicht.
    Ich zuckte zusammen, als du mir das erzählt hast. Ich fühlte mich in die Defensive gedrängt und reagierte gereizt. Aber du hattest recht. Und verängstigt und traurig war ich nur wegen meiner eigenen Worte.
    Du sagtest, ich hätte das Gedicht geschrieben, weil ich mit mir selbst nicht zurechtkäme. Und die Vorwürfe an meine Mutter, mich nicht zu beachten und zu respektieren, seien nur ein Vorwand, um diese Worte nicht an mich selbst richten zu müssen.
    »Und der Junge?«, fragte ich dich. »Was hat der zu bedeuten?«
    Ich bin gemeint. Oh, mein Gott. Jetzt weiß ich, dass sie von mir spricht.
    Ich halte mir die Ohren zu. Nicht um alle anderen Geräusche zu ersticken. Im Rosie’s ist es fast völlig still. Doch konzentriere ich mich ganz darauf, ihre Worte so zu empfinden, wie sie gemeint waren.
    Während ich auf deine Antwort wartete, suchte ich in meinem Rucksack nach Taschentüchern. Ich wusste, dass ich jeden Moment in Tränen ausbrechen konnte.
    Du hast mir gesagt, dass kein Junge mich so ignorieren könnte, wie ich mich selbst ignoriere. Das glaubtest du zumindest,
herausgelesen zu haben. Und deshalb hattest du mich auch nach dem Gedicht gefragt. Du hattest das Gefühl, dass es noch tiefer reichte, als selbst du ergründen konntest.
    Du hattest recht, Ryan. Es hat eine noch viel tiefere Bedeutung. Doch wenn du das wusstest - wenn du das gedacht hast -, warum hast du dann mein Notizbuch gestohlen? Warum hast du das Gedicht, das du selbst »besorgniserregend« genannt hast, in der Schulzeitung abgedruckt? Wie konntest du zulassen, dass andere es lesen?
    Sie haben es nicht nur gelesen, sondern regelrecht zerpflückt. Sich darüber lustig gemacht.
    Ich habe es nicht verloren und du hast es nicht gefunden, Ryan. In deiner Sammlung hatte es nichts zu suchen.
    Aber genau dort sind alle daraufgestoßen. Lehrer haben es in ihrem Unterricht behandelt. Schüler haben es ausgeschnitten und nach seiner Bedeutung gesucht.
    In unserer Klasse ist niemand auch nur ansatzweise darauf gekommen, was es wirklich bedeutete. Doch wir dachten, wir hätten es entschlüsselt. Sogar Mr Porter.
    Wisst ihr, was Mr Porter gesagt hat, bevor er mein Gedicht ausgeteilt hat? Er sagte, das Gedicht eines unbekannten Schülers sei wie das klassische Werk eines toten Dichters. Wie zutreffend. Schließlich konnte der Autor nicht nach dem wahren Sinn seines Erzeugnisses gefragt werden.
    Mr Porter machte eine kleine Pause, weil er vermutlich hoffte, dass sich der anonyme Autor doch noch zu seinem Werk bekennen würde. Was aber nicht geschah, wie ihr alle wisst.
    Doch jetzt wisst ihr Bescheid. Und für all diejenigen, die sich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern, lese ich es noch einmal vor. »Einsame Seele« von Hannah Baker.
    Du begegnest meinem Blick
doch siehst mich nicht
reagierst kaum, wenn ich
hallo flüstere
verwandte Seelen
könnten wir sein
Geschwister im Geiste
wir werden es nie erfahren
     
    Meine eigene Mutter
hast mich in dir getragen
doch siehst nur mein Äußeres
Leute fragen dich
wie es mir geht
du nickst lächelnd
lass es nicht
dabei bewenden
     
    Nimm mich
unter Gottes Himmel
sieh mich nicht nur mit den Augen
nimm hinfort
diese

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