Tote Maedchen luegen nicht
Schreiben aufgehört habe, in dem ich kein Interesse mehr an mir selbst hatte.
Sitzt er in seinem Auto und wartet? Warum?
Wenn du ein Lied hörst, das dich zum Weinen bringt, du aber nicht weinen willst, dann hörst du es eben nicht mehr.
Doch man kann nicht vor sich selbst davonlaufen. Man kann nicht beschließen, den Kontakt zu sich abzubrechen. Man kann den Lärm in seinem Kopf nicht zum Stillstand bringen.
Nachdem Tony seine Schweinwerfer ausgeschaltet hat, ist das Schaufenster des Rosies’s nur noch eine schwarze Fläche. Gelegentlich zieht in der Ferne ein schwaches Licht vorüber, wenn jenseits des Parkplatzes ein Auto die Straße entlangfährt.
Die einzige beständige Lichtquelle befindet sich, von mir aus gesehen, in der oberen rechten Ecke. Die Spitze des Crestmont-Schriftzugs überragt alle Nachbargebäude und verleiht der gesamten Umgebung einen rosa-bläulichen Schimmer.
Was würde ich darum geben, den letzten Sommer noch einmal erleben zu dürfen.
Wenn ich mit Hannah allein war, fiel es mir leicht, mit ihr zu reden. Man konnte so gut lachen mit ihr. Doch wann immer andere Leute in unserer Nähe auftauchten, wurde ich unsicher und zog mich zurück. Wusste nicht mehr, wie ich mich verhalten sollte.
Wenn ich in dem winzigen Kassenhäuschen saß, konnte ich mit meinen Kollegen nur über ein rotes Telefon kommunizieren. Man musste einfach den Hörer abheben, ohne auf irgendwelche Knöpfe zu drücken. Doch wann immer ich es tat und Hannah sich meldete, wurde ich nervös. Als würde ich sie von zu Hause anrufen, statt in Wahrheit nur wenige Schritte von ihr entfernt zu sein.
»Ich brauche Wechselgeld«, sagte ich dann.
»Schon wieder?«, entgegnete sie. Stets glaubte ich, ein unterdrücktes, freundliches Lachen in ihrer Stimme wahrzunehmen. Und jedes Mal stieg mir vor Scham die Wärme ins Gesicht. Denn offen gestanden habe ich auffällig oft angerufen, wenn wir zusammen gearbeitet haben.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis ich ein Klopfen an
meiner Tür hörte. Ich zog mein T-Shirt glatt und öffnete. In quälender Langsamkeit schlängelte sie sich mit einer Geldkassette zu mir herein, um mir ein paar Scheine klein zu machen. Und manchmal, wenn abends nur wenig los war, setzte sie sich auf meinen Stuhl und sagte, ich solle die Tür schließen.
Wann immer sie das sagte, hatte ich Mühe, meine Phantasie im Zaum zu halten. Denn obwohl wir in dem verglasten Kassenhäuschen so exponiert waren wie Jahrmarktsattraktionen und obwohl sie es nur sagte, weil wir ausdrücklich angewiesen waren, die Tür stets geschlossen zu halten, hätte in dem beengten Raum theoretisch alles passieren können.
Das habe ich mir jedenfalls gewünscht.
Diese Momente, so kurz und selten sie auch waren, versetzten mich stets in ein Hochgefühl. Hannah Baker verbrachte ihre freien Minuten freiwillig mit mir! Und weil das während der Arbeitszeit geschah, wäre niemand auf den Gedanken gekommen, darin etwas Besonderes zu sehen.
Aber warum wollte ich überhaupt, dass sich niemand etwas dabei dachte? Am liebsten wollte ich mir den Anschein geben, als hätte ich nur ein ganz normales Arbeitsverhältnis zu ihr.
Warum?
Weil Hannah einen Ruf hatte, der mir Angst machte.
Diese Erkenntnis gewann ich erst vor wenigen Wochen auf einer Party, als ich Hannah direkt gegenüberstand. Ein erstaunlicher Moment, in dem sich plötzlich alles zusammenfügte.
Als ich ihr in die Augen blickte, musste ich ihr einfach die Wahrheit sagen. Ich sagte ihr, wie leid es mir täte, ihr so lange meine wahren Gefühle verschwiegen zu haben.
Für einen kurzen Moment war ich in der Lage, es einzugestehen.
Ihr gegenüber. Mir selbst gegenüber. Doch habe ich dieses Eingeständnis nie wiederholt. Bis jetzt nicht.
Doch jetzt ist es zu spät.
Deshalb empfinde ich, genau in diesem Moment, so viel Selbsthass. Ich verdiene es, auf dieser Liste zu sein. Denn wäre ich nicht so ängstlich gewesen, hätte ich ihr gesagt, dass sie mir etwas bedeutet. Dann wäre Hannah vielleicht noch am Leben.
Ich wende meinen Blick vom leuchtenden Schriftzug ab.
Auch weiterhin bin ich manchmal ins Monet’s gegangen, um eine heiße Schokolade zu trinken, meine Hausaufgaben zu machen oder zu lesen. Aber Gedichte habe ich nicht mehr geschrieben.
Ich brauchte eine Pause ... von mir selbst.
Ich streiche mit der Hand über meinen Nacken. Die feinen Härchen sind schweißnass.
Obwohl ich Gedichte liebe. Das Schreiben hat mir gefehlt. Und nach mehreren Wochen beschloss ich, doch
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